Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
wie ich hoffnungsvoll vom Wassersaal ins Haus lief und nach Trevisan fragte, nur um dann zu erfahren, dass es niemanden mehr gab, der mir helfen konnte. Und wie ich anschließend heulend durch die Nacht stolperte, weil ich nicht mehr aus noch ein wusste.
Genau das tat ich nämlich.
Während ich mich unter Tränen dahinschleppte, konnte ich kaum noch denken. Ich musste mich ausruhen. Schlafen. Am liebsten fünfhundert Jahre, mindestens.
Obwohl mir auf dem Weg nach Castello mehrfach übel wurde und ich mich wegen der Dunkelheit öfters verlief, schaffte ich es irgendwie, ans Ziel zu kommen. Zwei Mal musste ich betrunkenen Männern ausweichen, die nächtliche Zerstreuung suchten. Der zweite wurde sogar handgreiflich und ließ sich nur durch einen Tritt gegen das Knie von weiteren Zudringlichkeiten abhalten.
Mehr tot als lebendig erreichte ich endlich Monna Faustinas Häuschen. Dort bekam ich kaum den Schlüssel aus meiner Gürteltasche, so sehr zitterten mir die Finger. Drinnen erwartete mich Monna Faustina mit erhobenem Nudelholz, das sie erst nach längerem Starren sinken ließ.
»Ihr seid es wirklich«, sagte sie. »Ihr seht schrecklich aus. Und schmutzig. Wenn Ihr Euch waschen wollt …«
»Morgen«, murmelte ich.
»Oder vielleicht ein bisschen Schnaps?«
»Nicht jetzt.«
Sie schien beleidigt, dass ich ihren Service verschmähte.
»Augenblick«, sagte ich, bevor sie wieder in ihrem Schlafzimmer verschwinden konnte. »Habt Ihr Schreibzeug?«
»Ihr meint Papier, Tinte und Feder?«
Ich nickte, was meinem schmerzenden Kopf nicht guttat.
»Die Tinte müsste ich erst anrühren und die Feder spitzen. Und Papier … Hm, höchstens ein, zwei Blätter, mehr ist gewiss nicht übrig. Und noch etwas Pergament, das ist aber teurer als Papier. Hält dafür viel länger. Ist alles von meinem verstorbenen Mann, Gott hab ihn selig.« Sie legte den Kopf schräg. »Ihr müsst wissen, ich hänge sehr daran. An dem Schreibzeug, meine ich. Ihr versteht sicher, dass es ein sehr wertvolles Andenken ist!«
Ich verstand. Zum Feilschen fehlte mir die Kraft. Ich bezahlte, was sie verlangte, und wartete dann, bis sie die Schreibsachen herausgekramt hatte.
Anschließend schleppte ich mich zur Stiege und kletterte mit letzter Kraft auf den Dachboden.
Oben sank ich auf der wackligen Bettstatt nieder und atmete tief durch, bis der Raum aufgehört hatte, sich um mich zu drehen.
Höchste Zeit für eine Zwischenbilanz. Sie fiel vernichtend aus. Sogar, wenn ich nicht mit einbezog, dass ich mutterseelenallein in der Vergangenheit festsaß.
Trevisan war verschwunden.
Bart saß im Gefängnis.
Und Clarissa war … Ich wollte nicht daran denken. Man hatte sie jedenfalls bestimmt nicht einfach davonspazieren lassen. Wohin man sie wohl verschleppt hatte?
Dass ich selbst lebte und frei herumlief, musste noch andere Gründe haben als Alvises Schadenfreude, wie mir mittlerweile klar war. Er verfolgte damit eine bestimmte Absicht, denn alles, was er tat, war sorgfältig geplant. Doch was er plante, blieb vorerst im Dunkeln. Mein Kopf tat zu weh, um darüber nachzudenken.
Morgen, dachte ich. Morgen in aller Frühe würde ich Botschaften verfassen. Eine für Matilda und Jacopo, damit sie erfuhren, warum Clarissa verschwunden war. Und eine für Trevisan, um ihn zu warnen. Falls er überhaupt wieder auftauchte.
Und die dritte würde ich auf das Pergament schreiben. Diese Botschaft musste lange halten. Sehr lange …
Warum eigentlich? Vorhin hatte ich es noch gewusst. Doch die Kopfschmerzen waren schlimmer geworden, zu schlimm, um noch nachdenken zu können. Ob ich eine Gehirnerschütterung hatte? Konnte man daran sterben?
Zu Hause wäre ich jetzt in die Notaufnahme gekommen, zu Izzy und Meredith. Und die würden mich dann zu Derek Shepherd bringen, denn der war als Neurologe für die Schädelverletzungen verantwortlich.
»MRT und großes Blutbild«, hörte ich Doktor McDreamy mit sonorer Stimme sagen.
Gleich würde er mir eine Spritze gegen die Schmerzen geben. Dann wäre ich wieder klar im Kopf und könnte die dritte Botschaft schreiben.
Aber vielleicht sollte ich lieber zuerst ein bisschen ausruhen.
Morgen, dachte ich abermals. Morgen ist auch noch ein Tag.
Als ich aufwachte, schien die Sonne auf mich. Es waren zwar nur ein paar mickrige Strahlen, die ihren Weg durch winzige Löcher in der Fensterbespannung oder undichte Dachschindeln fanden, aber sie reichten, um den ganzen Raum in ein diffuses, staubiges Licht zu tauchen.
Der
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