Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
behelfsmäßiger Schreibtisch diente, und vertiefte mich in den Brief. Bislang hatte ich nichts von dem geschrieben, worauf es wirklich ankam. Höchste Zeit, nach dem Jammerteil zu den Fakten zu kommen.
Wenn dieser Brief gefunden wird, muss er sofort zum Bewahrer der Fundstücke zur Universität gebracht werden.
Ich hielt inne und betrachtete den Satz, erfreut und erstaunt, dass ich ihn einfach so hatte hinschreiben können. Dass ich es geschafft hatte, das Wort Bewahrer unterzubringen, fand ich besonders gelungen. Fragte sich nur, ob es mir viel nützte, denn ich konnte ja nicht genauer werden. Prompt merkte ich es beim nächsten Satz, als ich das Wort Trevisan schreiben wollte. Jedes Mal, wenn ich ansetzte, seinen Namen zu schreiben, lösten sich die Buchstaben in Luft auf und es blieben nur ein paar Kleckse zurück. Dass ich meinen eigenen Vornamen hatte schreiben können, lag vermutlich daran, dass es ein klassischer Allerweltsname war.
Schließlich versuchte ich es mit Umschreibungen, was besser klappte.
Der Bote sitzt im Kerker. Der Edle wurde durch eine List fortgelockt. Der Böse hat die Französin entführt. Ich selbst bin bei der Geizigen und fürchte um das Leben der Freunde. Kommt zurück und rettet sie!
Danach versuchte ich ein paar Mal, meinen vollen Namen drunterzusetzen, aber nicht mal der Anfangsbuchstabe meines Nachnamens ließ sich zu Papier bringen. Frustriert wollte ich ein Smiley neben meinen Vornamen malen, aber auch das misslang. Schließlich verzichtete ich auf die Unterschrift. Während ich den fertigen Brief nochmals überflog, sann ich voller Zweifel darüber nach, ob diese Aktion wirklich etwas bringen würde. Seufzend faltete ich ihn schließlich zusammen. Ich würde es darauf ankommen lassen müssen.
Monna Faustina verlangte ein Vermögen für ein Stück Wachstuch, obwohl zuvor darin der Fisch eingewickelt gewesen war, den sie vom Markt mitgebracht hatte.
»Dieses Wachstuch ist mein Lieblingswachstuch«, erklärte sie. »Ich habe bestimmt schon Hunderte von Fischen darin befördert.«
Das roch man, doch ich konnte nicht wählerisch sein. Trotzdem handelte ich sie auf ein Zehntel des verlangten Preises herunter und war ziemlich stolz auf mich. Nach der Feilschaktion kletterte ich mit meiner stinkenden Beute die Stiege hoch und packte den Brief sorgfältig in das gewachste Tuch ein. Hinterher umwickelte ich es noch mit einer der Leinenbandagen von Sebastiano und zu guter Letzt verschnürte ich das Päckchen fest mit dem einzigen seidenen Haarband, das Dorotea mir übrig gelassen hatte.
Anschließend verfasste ich wie geplant eine Zettelbotschaft für Matilda und Jacopo und eine für Trevisan. Beide faltete ich fest zusammen und verklebte die Ränder, indem ich Kerzenwachs darauf tropfen ließ.
Danach machte ich mich zum Ausgehen zurecht, wobei dieses Zurechtmachen sich darauf beschränkte, mich zu kämmen, das Schultertuch anzulegen und mein Gesicht hinter einem Schleier zu verstecken. Auf keinen Fall konnte ich riskieren, unterwegs jemandem von Alvises Bande in die Arme zu laufen.
Als ich vors Haus trat, sah ich mich nach allen Seiten um und erst als ich mich davon überzeugt hatte, dass dort niemand auf mich lauerte, lief ich los. Kreuz und quer marschierte ich durch die Gassen, wobei ich nicht den direkten Weg wählte, sondern immer zwischendurch Umwege in Kauf nahm, um sicherzugehen, dass ich nicht verfolgt wurde.
Es ging bereits auf die Mittagszeit zu. Die Sonne stand hoch und es wurde immer wärmer, doch ich wagte nicht, den Schleier abzunehmen, obwohl ich darunter schwitzte wie in der Sauna und meine ganze Umgebung nur leicht verschwommen sehen konnte.
In der Stadt wimmelte es von Menschen. Es war beinahe wie in der Gegenwart, nur dass hier keine Touristenhorden unterwegs waren, sondern echte Venezianer.
Je näher ich meinem Ziel kam, desto vorsichtiger wurde ich. Immer häufiger blickte ich mich um, denn wenn Alvise oder einer seiner Kumpane mir irgendwo auflauerten, dann vermutlich hier. In gebührender Entfernung vom Palazzo Trevisan blieb ich schließlich am Ende einer verwinkelten Gasse stehen und holte die vorbereitete Botschaft aus meinem Beutel. Wehmütig dachte ich daran, wie einfach das Ganze wäre, wenn es hier schon Handys gegeben hätte. Dann hätte ich Trevisan einfach eine SMS schicken können. So aber konnte ich nichts weiter tun, als so lange zu warten, bis sich ein geeigneter Bote blicken ließ. Der tauchte zum Glück recht bald auf. Es handelte sich
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