Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
wie blau seine Augen waren. Und er roch gut, wie ich feststellen konnte, als er mich auf die Bank niederzog und sich neben mich setzte. Nicht nach Deo oder Shampoo oder dergleichen. Sondern einfach nur … richtig.
Ich wartete darauf, dass wir ablegten, doch nichts geschah. Der alte Mann hatte das Ruder eingezogen und hielt den Kopf gesenkt. Er murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte.
»Jetzt«, sagte Sebastiano. Dann sah ich das silberne Flimmern vom Bootsrand aus aufsteigen. Zuerst als dünne helle Linie, dann als Fläche, wie ein Vorhang aus blendendem Licht, der sich von unten nach oben zog und immer höher stieg, bis davon mein ganzes Blickfeld ausgefüllt war. Ich hielt die Luft an und wartete auf den Knall. Mir schossen zusammenhanglose Fragen durch den Kopf, zum Beispiel, ob ich nackt in der Zukunft landen würde. Ob ich bei der Landung meine Tasche wiederkriegen würde, möglichst mitsamt dem iPod. Ob ich mich an alles würde erinnern können. Vor allem der letzte Punkt bereitete mir Kopfzerbrechen und in dem Sekundenbruchteil, bevor die Helligkeit alle anderen Bilder auslöschte, hätte ich Sebastiano gern gesagt, dass es mich freute, ihn kennengelernt zu haben. Trotz allem.
Doch dafür blieb mir keine Zeit mehr. Das blendende Licht zerbarst mit einem ohrenbetäubenden Knall. Danach versank alles in tiefschwarzer Dunkelheit.
TEIL ZWEI
Venedig, 1499
W ie beim letzten Mal war es Nacht, als ich zu mir kam. Ich lag flach auf dem Rücken, aber diesmal hatte ich keinen Sack auf dem Gesicht, sondern konnte den Sternenhimmel über mir sehen. Und ich war auch nicht nackt, wie ich nach raschem Tasten feststellte. Klar, dachte ich, eigentlich logisch, dass ich die Sachen noch anhatte. Zeug, das man aus der Vergangenheit mit in die Zukunft brachte, war nicht anachronistisch, sondern einfach bloß antik. Es ging natürlich nicht als echt durch, denn es war ja nicht richtig alt. Beziehungsweise, es sah nicht so alt aus, wie es war.
Meine Gedanken sprangen konfus hin und her, erst allmählich klärte sich mein Verstand so weit, dass ich wieder sprechen konnte.
»Hallo?«, fragte ich mit piepsiger Stimme. »Ist da wer?«
»Ich bin hier«, sagte Sebastiano neben mir. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter und dann richtete er mich in eine sitzende Position auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Jetzt ja. Zuerst dachte ich, ich hätte nichts an. Nicht, dass du denkst, ich wäre besonders prüde. Aber so gut kennen wir uns auch wieder nicht.«
»Eigentlich kennen wir uns überhaupt nicht«, bestätigte Sebastiano. »Falls es dir ein Trost ist – beim ersten Mal habe ich nicht hingeschaut. Oder sagen wir, höchstens ganz kurz, dann war Bartolomeo schon mit dem Sack da.«
Ich schaute mich um. Wir waren in einer ziemlich dunklen Gasse gelandet. Eigentlich sah sie genauso aus wie beim letzten Mal. Manche Ecken in Venedig änderten sich anscheinend auch in mehr als fünfhundert Jahren nicht.
Mit Sebastianos Hilfe rappelte ich mich hoch. »Es ist nett, dass du mich hergebracht hast. Falls du in Eile bist – den Weg zum Hotel finde ich wahrscheinlich auch allein.«
Insgeheim hoffte ich, dass er mich noch dorthin begleiten würde. Es war wirklich ziemlich dunkel. Nur von einem der Häuser fiel flackernder Lichtschein durch ein offenes Fenster nach draußen. Es reichte aus, um zu erkennen, dass die Gasse an dieser Stelle aus Lehm war.
»Oh, mein Gott!«, schrie ich. »Es ist schiefgegangen! Sieh doch! Das Gassenstück da vorn! Da ist kein Pflaster, bloß blöder Lehm! Wir sind hiergeblieben!«
»Ich weiß. Ich bin nicht blind.«
Vor lauter Schreck fing ich an zu zittern und ehe ich michs versah, brach ich in Tränen aus. Ich heulte und zitterte unkontrolliert, als wäre es tiefster Winter, obwohl ich nicht im Geringsten fror.
Sebastiano stand mit hängenden Armen vor mir und blickte mich hilflos an, was mir kein bisschen weiterhalf. Schließlich seufzte er und nahm mich in die Arme, was zur Folge hatte, dass ich nun gegen seinen Hals schluchzte. Erstickte Schnaufer stiegen aus meiner Brust und landeten nass unter seinem Ohr. Die Umarmung tat mir gut. Der Schock ließ langsam nach, es war fast so, als würden Kraft und Wärme von Sebastianos Körper auf mich übergehen. Allmählich wurde das Zittern weniger und hörte schließlich ganz auf. Trotzdem heulte ich noch eine Weile vor mich hin und durchfeuchtete Sebastianos Hemdkragen, bis es mir schließlich selbst zu viel wurde.
Zögernd machte ich
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