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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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bei sich«, sagte Sebastiano, als würde das alles erklären.
    »Ich bin übrigens Anna«, stellte ich mich vor.
    »Ich weiß«, sagte der Einäugige. »Mein Name ist José Marinero de la Embarcación. Du kannst mich José nennen.«
    Das fand ich praktisch, denn den Rest hatte ich sowieso nicht verstanden.
    José ging mit dem Windlicht voraus durch einen ummauerten Hof zu einer Außentreppe. Im flackernden Kerzenschein wirkte der Schatten seiner verhutzelten Gestalt an der Mauer wie der eines Riesen.
    Die Treppe führte zu einer Loggia hinauf. Oben angekommen, stieß José eine Tür auf. Wir betraten einen Raum, dessen Ausmaße ich bei den dürftigen Lichtverhältnissen nur erahnen konnte. Auf jeden Fall waren sie gewaltig, besonders im Vergleich zu den niedrigen Kämmerchen, in denen ich die beiden letzten Wochen verlebt hatte.
    Zusammen mit meinen Eltern hatte ich neulich (oder in ferner Zukunft, je nachdem) die Ca’ D’Oro besucht, und an einiges, was wir dort über die Bauweise typischer venezianischer Palazzi erfahren hatten, erinnerte ich mich nun wieder. Die meisten Patrizierhäuser, die aus dieser Zeit stammten, waren nach ähnlichen Prinzipien erbaut. Im Untergeschoss gab es einen Wassersaal mit einem Zugang zum Kanal; bei manchen Häusern konnte man sogar mit der Gondel hineinfahren. An die Wasserhalle grenzte oft ein Zwischengeschoss mit Wirtschaftsräumen wie Küche, Lager und Wäschekammern.
    Der erste Stock umfasste den herrschaftlichen Wohnbereich mit einem großen Prunksaal, Portego genannt, der über die ganze Tiefe des Hauses reichte. Zu beiden Seiten dieses Saals befanden sich Gemächer, in denen die Besitzer schliefen oder aßen oder Besucher bewirteten.
    In einem solchen Portego befand ich mich gerade. Rechts und links gingen Türen ab, von denen José eine öffnete und in den dahinterliegenden Raum hineinleuchtete.
    »Ich glaube, das ist annehmbar für die junge Dame«, sagte er.
    Ich spähte in die dunklen Tiefen des Raums, während Sebastiano eine Kerze an dem Windlicht anzündete und sie mir überreichte.
    »Schlaf gut«, sagte er. »Wir reden morgen weiter. Oder vielmehr heute. Auf jeden Fall später.«
    »Wahnsinn«, sagte ich. »Ist das etwa ein Himmelbett?«

    Es war tatsächlich eins. Bei dem Anblick merkte ich schlagartig, wie müde ich war. Trotzdem sah ich in allen Ecken nach, ob die Luft rein war. Sebastianos finstere Andeutungen über Meuchelmörder waren keineswegs wirkungslos an mir abgeprallt. Die Kombination aus Dunkelheit und Alleinsein verunsicherte mich zusätzlich.
    Doch außer kostbarem Mobiliar befand sich nichts in dem Raum. Die Tür ließ sich zudem praktischerweise von innen verriegeln und das tat ich umgehend, bevor ich mich auszog und in die Federn kroch. Was in dem Fall wörtlich zu verstehen war, denn das Bettzeug war wunderbar leicht und luftig wie ein Daunenbett in der Zukunft. Auch die Matratze war weich und bequem und die Leinenbezüge waren glatt. Nirgends stachen Strohhalme heraus, es gab weder kratzigen Stoff noch miefende Wolle. Mit dem Betthimmel über mir – im Kerzenlicht konnte ich sehen, dass er aus bestickter Seide war – kam ich mir vor wie Dornröschen. Bereit für den hundertjährigen Schlaf.
    Bevor ich wegdämmerte, spürte ich einen Anflug von schlechtem Gewissen. Arme Clarissa! Während ich hier in Damast und Daunen lag, musste sie mit einer juckenden Wolldecke vorliebnehmen und in ungefähr einer Stunde – viel länger konnte es bis zum Sonnenaufgang nicht mehr dauern – Nachttöpfe leeren, Wasser holen, Hirsebrei kochen und dann den ganzen Tag in der sommerlichen Hitze im Schuppen stehen und Kräuter verarbeiten. Und ich wäre nicht mal da, um ihr zu helfen.
    Ich überlegte, ob ich später am Tag, sobald ich wieder fit war und meine neue Umgebung erkundet hatte, solidarischerweise bei Clarissa vorbeischauen sollte. Vielleicht fühlte sie sich besser, wenn sie erfuhr, dass ich noch da war. Bestimmt würde es sie trösten, dass sie nicht allein in diesem Jahrhundert festhing.
    Allerdings würde sie dann auch wissen wollen, wo genau ich untergekommen war. Das würde ihr wahrscheinlich weniger gefallen. Vor allem, wenn sie hörte, dass ich in einem riesigen Zimmer mit Himmelbett, goldgerahmten Spiegeln und lackierten Möbeln schlief. Und einem Nachttopf, der nicht nur einen Deckel hatte, sondern auch in einen Lehnstuhl eingebaut war, welcher wiederum dezent verborgen hinter einem Wandschirm stand. Wie es schien, lebte es sich in diesem

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