Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
mich los und rieb mir mit dem Ärmel die Augen trocken. »Wo ist die Gondel? Können wir es nicht einfach noch mal versuchen?«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist vorbei. Die Gondel ist weg. Das Zeitfenster ist wieder geschlossen.«
»Aber wie konnte das passieren?«
»Pst, nicht so laut! Hier sind um diese Zeit immer Wachen unterwegs!«
Damit meinte er wohl kaum die Carabinieri, sondern die Typen mit Helm, Harnisch und Speer, die ich vor exakt zwei Wochen schon einmal hatte bewundern dürfen.
»Sebastiano, ich will nach Hause! Ich werde nicht für den Rest meines Lebens auf dieses grässliche Klo gehen und ohne Unterwäsche rumlaufen!« Ich flüsterte, weil ich Schritte in der Dunkelheit hörte. »Meine Eltern machen sich bestimmt schon wahnsinnige Sorgen um mich. Glaub mir, die setzen Himmel und Hölle in Bewegung, wenn ich nicht zurückkomme!«
»Du wärst durch dasselbe Fenster zurückgekommen, durch das du verschwunden bist. Sogar in deinen eigenen Sachen. Deine Eltern hätten gar nicht bemerkt, dass du weg warst.«
»Heißt das, es gibt noch andere Fenster?«, wollte ich wissen.
»Darüber kann ich nicht sprechen.«
Wären wir in diesem Augenblick näher beim Kanal gewesen, hätte ich ihn hineingestoßen.
»Falls es andere Fenster gibt, will ich sie benutzen«, verlangte ich. »Ich gehe jede Wette ein, dass du das auch machst.«
»Das ist etwas völlig anderes.«
»Aha!«, sagte ich. »Es gibt sie also! Die anderen Fenster!«
Darauf erhielt ich keine Antwort, doch ich ließ nicht locker. »Die Stelle, an der ich gerade gelandet bin – das ist dieselbe wie beim letzten Mal, oder? Haben die Zeitfenster feste Plätze? Einstieg beim Kanal in der Gondel, Ausstieg in der Gasse? Habt ihr nicht Angst, dass irgendwer das zufällig beobachtet und euch dann wegen Hexerei anzeigt?«
»So funktioniert es nicht«, sagte Sebastiano ungeduldig. »Die wichtigen Fenster können nur Eingeweihte sehen.« Er fasste mich beim Arm. »Komm mit. Hier können wir nicht bleiben.«
Er zog mich mit sich und wir gingen ein Stück.
»Warte mal.« Ich blieb stehen. Wir hatten eine andere Gasse erreicht, wo es etwas mehr Licht gab, weil dort an einer Hauswand eine Fackel brannte. »Wohin gehen wir überhaupt? Falls du glaubst, du kannst mich wieder bei Matilda deponieren und dann abhauen, bist du schiefgewickelt! Ich will genau da hin, wo du auch hingehst. Und wenn du versuchst, mich reinzulegen und zu verschwinden, werde ich so lange vor dem Maskenladen Wache halten, bis du wieder auftauchst.«
»Wer sagt dir, dass ich da je wieder hingehe?«
»Ich wette, dass ihr da so eine Art Zentrale habt. Schon deswegen, weil der Laden genauso aussieht wie in fünfhundert Jahren.«
Er wirkte alarmiert. »Woher weißt du das?«
»Weil ich mir da eine Maske gekauft habe.«
»Wann?«
»In der Zukunft natürlich.«
»Oh, verdammt!« Er stöhnte, als hätte ihm jemand mit einem spitzen Absatz auf den Fuß getreten.
Ich hatte das Gefühl, dass er weitere Erklärungen erwartete. »Eigentlich wollte ich mir Schuhe kaufen, doch irgendwie landete ich mit Matthias in diesem Maskenladen. Matthias war übrigens der dicke Junge, der auch mit seinen Eltern in der Gondel war, als das Zeitfenster aufging.« Ich runzelte die Stirn. »Eigentlich ist es komisch, dass sie nicht mit hergekommen sind, sondern bloß ich. Die hatten wirklich ein Riesenglück, oder?«
»Hm. Hattest du die Maske dabei, als der Übertritt erfolgte?«
Ich bejahte. »Sie war in meiner Umhängetasche. Die jetzt natürlich weg ist, zusammen mit meinem iPod, meinem Taschengeld für einen ganzen Monat und meinem Sensi.« Letzteres äußerte ich mit enormer Verbitterung, denn meine Chancen, schnellstmöglich nach Hause und zu meiner Tasche mit all dem zu kommen, was mir lieb und teuer war, standen deutlich schlechter als noch vor einer Stunde. Trotzdem wollte ich auf keinen Fall daran denken, dass es mir ähnlich ergehen könnte wie Clarissa. Sobald ich erst anfing, das auch nur entfernt in Erwägung zu ziehen, würde ich mit Schreikrämpfen zusammenbrechen. Dann würde man mich notgedrungen einliefern. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo, aber das wollte ich sowieso lieber nicht wissen.
»Was ist Sensi? «, wollte Sebastiano wissen,
Anscheinend gab es Dinge in der Zukunft, die nicht mal er kannte. »Ein Parfümsorte«, sagte ich. »Was war mit dieser Maske los? Welche Rolle spielt sie bei der ganzen Sache?«
»Darüber kann ich dir nichts sagen.«
»Aha«, sagte ich
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