Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Stimme wurde lauter. »Ihr guten Leute, sind wir hier richtig beim Haus des ehrenwerten Messèr Trevisan? Wir sind zu seiner Feier eingeladen.«
Nie hätte ich mir träumen lassen, mich einmal über das Auftauchen von Juliane Tasselhoff zu freuen. Ach was, freuen war gar kein Ausdruck. Ich hätte jubeln können vor lauter Begeisterung!
Hastig wich ich ein paar Schritte von Alvise zurück.
»Ja, hier seid Ihr richtig!«, rief ich. Es kam als heiseres Krächzen heraus, Folge des Würgegriffs, doch bei meinen nächsten Worten gewann ich wenigstens teilweise die Stimme zurück. »Die Familie Tassini, stimmt’s? Kommt doch gleich hier herein, in den Wassersaal, ich kann Euch in den Portego begleiten und Euch dem Gastgeber vorstellen!«
Die ganze Zeit ließ ich Alvise nicht aus den Augen, aber er hatte wohl erkannt, dass die Nacht der langen Messer vorbei war. Ohne ein Wort zog er sich zu seinem Bruder in den Gang zurück. Die Schritte der beiden entfernten sich in erfreulichem Tempo.
Mein Herz raste wie verrückt von all dem Adrenalin, das mein Körper ausgeschüttet hatte. Ich musste ein paarmal tief durchatmen, bis ich wieder halbwegs klar denken konnte. Mit wackligen Knien ging ich zu den Stufen, die von der Galerie zum Wasser hinabführten. Vor dem Tor dümpelte die Gondel der Tasselhoffs alias Tassini. Juliane und ihr Gatte Heinrich, beide aufgerüscht wie für einen Staatsempfang, waren sichtlich erstaunt, mich hier zu sehen.
»Ist das nicht dieses verwirrte junge Ding von heute Nachmittag?«, fragte Juliane ihren Mann. »Ich erkenne sie trotz ihrer Maske.«
»Du hast recht, Giulia. Sie ist es. Was sie wohl hier zu tun hat?«
Matthias erhob sich von der hinteren Sitzbank und half gemeinsam mit dem Gondoliere seiner Mutter beim Aussteigen. »Ihr solltet nicht von ihr reden, als wäre sie gar nicht da.«
Damit hatte er eindeutig recht, doch ich war so unendlich erleichtert und dankbar, dass Juliane und Heinrich sonst was hätten erzählen können. Sie hatten mir das Leben gerettet, dafür hatten sie was bei mir gut.
Mit einem Griff schob ich mir die Maske nach oben ins Haar, weil es mir unhöflich vorkam, mein Gesicht vor ihnen zu verstecken.
»Dass ich verwirrt war, gebe ich zu, aber es lag an der Hitze«, sagte ich, immer noch zittrig. »Kaum wart Ihr fort, hatte ich begriffen, dass es eine Verwechslung war.«
»Wie war gleich dein Name?«, fragte Matthias mit schüchternem Lächeln.
Ich holte tief Luft. »Anna. Und du bist Matteo Tassini, richtig?«
»Du hast es dir gemerkt!« Er strahlte mich an.
»Das liegt daran, dass es mir vorkommt, als würde ich dich schon ewig kennen.«
Das verschlug ihm vollends die Sprache. »Oh«, stieß er errötend hervor. »Das … freut mich.«
Ich unterdrückte mein schlechtes Gewissen und hängte mich bei ihm ein wie bei einem langjährigen Kumpel. Im Moment waren er und seine Eltern die einzige Lebensversicherung, die ich hatte. Solange ich bei ihnen blieb, musste ich nicht befürchten, an der nächsten Ecke doch noch abgemurkst zu werden.
Außerdem war ich immer noch ganz schwach vor Schreck über das Erlebte, weshalb ich froh war, mich für eine Weile an Matthias’ Arm festhalten zu können.
»Diese Katzenmaske da – irgendwie kommt es mir so vor, als hätte ich sie schon mal gesehen«, sagte Matthias auf dem Weg zur Treppe nachdenklich.
Ich stutzte. »Wirklich? Wann denn?«
»Es muss sehr lange her sein, sonst könnte ich mich ja daran erinnern.«
Ich dachte an die blöde Sperre und versuchte gar nicht erst, ihm mitzuteilen, dass es erst vor ein paar Wochen gewesen war. Zumindest aus meiner Sicht.
»Wahrscheinlich laufen viele Leute mit diesen Katzenmasken herum«, meinte ich.
Er schien zu grübeln. »Eigentlich kommt es mir auch so vor, als hätte ich dich schon einmal gesehen.«
»Das hast du ja auch. Heute Nachmittag erst.«
»Nein, davor.« Er hielt kurz inne und vergewisserte sich, dass seine Eltern vorausgegangen waren und uns nicht hören konnten. »Als wir im Boot saßen, hatte ich ganz plötzlich das Gefühl, dich schon einmal getroffen zu haben. Ich habe es auch meinen Eltern gesagt, aber die wollten nichts davon hören.«
Das erstaunte und erfreute mich. Anscheinend funktionierte das totale Vergessen doch nicht in allen Fällen. Es drängte mich, ihn über alles aufzuklären, doch als ich den Mund öffnete, kam erwartungsgemäß kein einziges Wort heraus. Frustriert musste ich zur Kenntnis nehmen, dass zumindest die Sperre weiterhin
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