Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Pfostenbett dominiert, die andere von einer mindestens doppelt so großen Speisetafel, an der bestimmt vierzig Leute sitzen konnten. Von der Palazzobesichtigung in meiner eigenen Zeit hatte ich noch in Erinnerung, dass diese Art von Mehrfachnutzung in der Vergangenheit nicht ungewöhnlich war. Festgelegte Esszimmer gab es nicht, man trug die Tische einfach dorthin, wo es gerade gut passte, und das konnte dann auch schon mal das Schlafzimmer sein. Was im Grunde recht bequem war, vor allem für den dekadenten Adel, der auf diese Weise lästige Wege abkürzen konnte. Zwischen Schlafen und Futtern waren es nur wenige Schritte. Und wenn man schon morgens Gäste hatte, konnte man gleich im Bett bleiben und nebenher das Essen servieren lassen.
Durch eine Hintertür flitzten ständig Diener herein und schleppten volle Schüsseln und Platten zum Tisch. Es roch nach Braten und schwerem Wein. Außerdem hing ein Geruch nach exotischen Gewürzen in der Luft, für diese Zeit der Inbegriff von Reichtum. Wer im fünfzehnten Jahrhundert ein paar Tütchen Pfeffer besaß, galt als wohlhabend. Piment, Zimt und Safran wurden in Gold aufgewogen. Was die Leute in der Zukunft in jedem Supermarkt für ein paar Euro kaufen konnten, musste in der Vergangenheit auf monatelangen und gefährlichen Seereisen erst aus dem Orient herbeigeschafft werden und war entsprechend kostbar. Die Currywurst war zwar noch lange nicht erfunden, aber auch wenn es sie schon gegeben hätte, hätte sich kaum jemand eine leisten können.
Nebenan im Saal fing das Orchester an zu spielen, ein Musikstück, das wegen der mir unbekannten Instrumente in meinen Ohren gewöhnungsbedürftig klang.
Die ersten Gäste ließen sich am Tisch nieder und häuften sich Essen auf die Teller. Immer mehr Leute strömten vom Portikus in den großen Saal. Allmählich ging die Party richtig los, denn die Diener kamen kaum damit nach, Wein auszuschenken. Auch mir wurde ein volles Glas in die Hand gedrückt. Vorsichtig nippend blieb ich im Türrahmen stehen und beobachtete die Malipieros.
Alvise und Giovanni hatten sich zu einem großen, breitschultrigen Mann um die vierzig gesellt, der ein bisschen aussah wie Harrison Ford in einem altertümlichen Kostüm. Seine Augen blitzten unternehmungslustig, und sein Lächeln war sympathisch.
Die Malipiero-Brüder standen mit dem Rücken zu mir und redeten auf ihn ein. Ich konnte wegen der Musik nicht hören, was sie sagten. Alvise gestikulierte beim Sprechen ohne Rücksicht darauf, dass sein Weinglas dabei überschwappte.
Unwillkürlich bewegte ich mich ein paar Schritte auf ihn zu und hörte das Ende seines letzten Satzes. »… mit nach unten kommen, Trevisan? Es wird sicher nicht lange dauern.«
Aha. Das also war Trevisan. Der Mann, auf den es die Malipieros abgesehen hatten.
»Ihr erwartet allen Ernstes, dass ich mir Euer neues Boot anschaue, bevor ich meine Gäste begrüßt habe?«, fragte Trevisan lächelnd.
»Nun, es geht ja nicht nur um das neue Boot, sondern um das Geschenk, das sich darin befindet. Ein Geschenk für Euch von unserer Familie, wenn ich das hinzufügen darf. Mein Vater brennt darauf, dass Ihr es Euch anschaut. Und mein Bruder und ich ebenso.«
Trevisan hob die Brauen. »Hättet Ihr es nicht mit heraufbringen können?«
»Unmöglich. Ihr müsst schon mit nach unten in den Wassersaal kommen. Das Boot liegt direkt davor.«
»Jetzt macht Ihr mich aber wirklich neugierig. Ihr seid ein wahrer Überredungskünstler.« Trevisan legte Alvise die Hand auf die Schulter. »Also gut, ich komme mit und sehe es mir an. Schon allein deshalb, damit ich mich gebührend bei Eurem Vater dafür bedanken kann.«
Beunruhigt sah ich, wie er gemeinsam mit den beiden Brüdern das Gemach durch die Hintertür verließ.
Clarissa tauchte neben mir auf. »Der Abtritt ist der schiere Luxus«, sagte sie. »Sie haben dort sogar Baumwolltücher zum Abwischen. Und ein Schälchen mit Lavendelwasser. Das musst du dir unbedingt ansehen.«
»Sicher«, sagte ich zerstreut, schon auf halbem Wege zur Hintertür.
»He, zum Abtritt geht es in die andere Richtung!«, rief sie mir nach.
»Ich werd’s schon finden!«, rief ich über die Schulter zurück. Im Gehen stellte ich mein Glas auf dem Tisch ab. Dabei brachte ich um ein Haar einen Diener zu Fall, der eine schwere Fleischterrine schleppte. Er wich mir gerade noch aus, schüttete dabei aber einem Gast Soße über das Wams. Der wiederum sprang vom Tisch auf und brüllte den armen Diener an. Sofort
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