Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
eurem neuen Haus ansehen«, rief ich über die Schulter, schon auf dem Weg zu Sebastiano.
Als ich sah, wer bei ihm stand, hatte ich es noch eiliger, zu ihm zu kommen. Die schneewittchenhaft schöne Marietta hatte sich bei ihm eingehakt, als ob sie beide zusammengehörten.
Sie trug ein Kleid in schillernd blauer Seide, in dem sie aussah wie ein Topmodel.
Als ich die beiden erreicht hatte, war ich seltsam befangen. Ich brachte kein Wort heraus. Vielleicht lag es daran, dass ich außer Atem war, weil ich mich so beeilt hatte. Oder daran, dass die beiden so toll aussahen. Vor allem Sebastiano. Er trug ein flaschengrünes Wams ohne Stickerei, aber dafür so figurbetont geschnitten, dass ich mich fragte, ob seine Schultern schon immer so breit gewesen waren.
»Das verlassene Waisenkind«, sagte Marietta. Sie schien erstaunt, mich hier zu sehen. »Ob man sie ohne Begleitung aus dem Kloster fortgelassen hat? Oder ist sie von dort weggelaufen?« Sie musterte mich von oben bis unten. »Ist dieses Kleid für das Kind nicht doch zu weit ausgeschnitten? Vielleicht hätte ich es lieber nicht mit zu den Sachen in die Truhe packen sollen, was meinst du, Sebastiano?«
Schon wieder redete jemand über mich, als wäre ich gar nicht anwesend. Erschwerend kam hinzu, dass sie einen halben Kopf größer war als ich und buchstäblich auf mich herabblickte. Dass mein Kleid aus ihren abgelegten Sachen stammte, machte es auch nicht besser. Neben der hochgewachsenen Kurtisane kam ich mir vor wie Aschenputtel.
Ich räusperte mich und versuchte, mir einen gelassenen Anstrich zu geben. »Sie ist nicht allein zu der Feier gekommen.«
»Wer?«, fragte Marietta verdutzt.
»Das verlassene Waisenkind. Es ist in Begleitung hier.«
Ihr Gesichtsausdruck versöhnte mich ein wenig mit der unmöglichen Situation. Ebenso Sebastianos Grinsen.
Doch seine Belustigung verflog sofort. Missbilligend betrachtete er meinen Ausschnitt. »Das Kleid ist viel zu tief ausgeschnitten.«
Ich widerstand dem Drang, mir die Hand auf das Dekolleté zu legen, und hob stattdessen trotzig das Kinn. Das Kleid war längst nicht so gewagt wie das von Marietta. Gleiches Recht für alle!
Sebastianos Augen verengten sich, er schaute schärfer hin. »Was zum Teufel …« Mit zwei großen Schritten war er bei mir. Marietta geriet fast aus dem Gleichgewicht, weil er sich so abrupt von ihr löste.
Dicht vor mir blieb Sebastiano stehen und umfasste mein Kinn, um es vorsichtig anzuheben. Sein Blick heftete sich auf meinen Hals. Blanke Wut stand in seinen Augen, als er mein Kinn losließ und dafür nach meiner Hand griff. Ohne ein Wort zog er mich mit sich durch die Menge.
»Ich wollte sowieso mit dir allein sprechen«, sagte ich, hinter ihm herstolpernd und darauf bedacht, niemanden anzurempeln.
An einer Säule sah ich Bart und Clarissa stehen. Bart gefiel mir sehr gut, er hatte sich frisch rasiert und in Schale geworfen. Und es war nicht zu übersehen, dass er Clarissa anhimmelte. Die wiederum schien ebenfalls ganz passabel drauf zu sein, zumindest lächelte sie, was sonst selten vorkam. Ich fand, dass das ein gutes Zeichen war. Warum sollte nicht was werden aus den beiden? Clarissa hatte nette Abwechslung mehr als verdient. Ich war stolz auf mich, dass ich sie zum Mitkommen überredet hatte.
»Sieh mal, da sind Bartolomeo und Clarissa«, sagte ich zu Sebastiano. Im Vorbeigehen winkte ich ihnen zu, doch sie sahen mich nicht, weil sie in ein Gespräch vertieft waren. Gelegenheit, mit ihnen zu reden, hatte ich nicht, denn gleich darauf hatte Sebastiano mich an ihnen vorbeigezerrt.
»Ich würde auch freiwillig mitkommen«, sagte ich. »Du kannst mich ruhig loslassen.«
Er antwortete nicht. Mit grimmig zusammengepressten Lippen zog er mich durch den Portikus, an dessen Ende er mich in eine Wandnische schob. Er fasste mich bei der Schulter und drehte mich zu sich herum.
»Hat Alvise das getan?«, wollte er wissen.
Ich nickte.
»Wann?«
»Vor zehn Minuten ungefähr.«
»Verdammt!«, fluchte er. Ich meinte sogar, ein leises Zähneknirschen zu hören. Unerklärlicherweise verbesserte das sofort meine Laune.
»Ich habe ihm gegen das Knie getreten«, informierte ich ihn. »Dasselbe, gegen das du ihn getreten hast, als er mit dem Messer auf dich losging. Eigentlich hätte ich ihm noch ins Gesicht boxen müssen, doch dann kamen die Tasselhoffs dazu und Alvise haute ab.«
Den Teil mit dem Schwert ließ ich aus, das war Schnee von gestern.
Glücklich fügte ich hinzu: »Ich
Weitere Kostenlose Bücher