Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
glaube, ich hab’s geschafft, Sebastiano! Ich habe das schlimme Ereignis verhindert und kann deshalb beim nächsten Mondwechsel zurück.« Triumphierend fuhr ich fort: »Ich habe Trevisan gerettet! Alvise und sein Bruder hatten ihn in den Wassersaal gelockt, angeblich, weil sie ihm ein Geschenk zeigen wollten. Ich war ihnen gefolgt und kam gerade noch rechtzeitig. Sie hätten ihn sonst garantiert kaltgemacht!«
Sebastiano musterte mich nachdenklich. »Du bist ganz schön mutig, weißt du das?«
»Ich hatte eine Scheißangst«, widersprach ich. »Bestimmt versuchen sie es irgendwann wieder. Man sollte ihn warnen. Wenn er Bescheid weiß, kann er sich die Malipieros vom Hals halten.«
Sebastiano schüttelte den Kopf. »Es ist verbotenes Wissen, da es aus der Zukunft kommt. Keine Chance, es ihm zu sagen. Wir können nur versuchen, ihn zu schützen.« Er zog grimmig die Brauen zusammen. »Und dich auch. Jetzt weiß Alvise, auf wessen Seite du stehst.«
»Ich werde ihm aus dem Weg gehen. Warum bist du eigentlich nicht früher zurückgekommen?«
»Manchmal läuft es eben nicht so, wie man es gern hätte.« Seine Stimme klang matt, und unvermittelt bemerkte ich, wie bleich er war. Es kam mir sogar so vor, als wäre er nicht ganz sicher auf den Beinen. Getrunken hatte er nichts, das hätte ich gerochen. Sicher war er erschöpft, aber das allein erklärte nicht diese Schwäche.
»Was ist los mit dir?«, fragte ich erschrocken.
»Nichts weiter. Ich bin nur hundemüde.«
Ein betrunkener Gast kam vorbeigetorkelt und prallte im Vorübergehen gegen Sebastiano. Der zuckte zusammen und schrie unterdrückt auf.
Der Betrunkene stolperte ohne Entschuldigung weiter.
Sebastiano, noch bleicher als zuvor, presste sich die Hand in die rechte Seite. Als er die Finger wegnahm, sah ich die dunklen Flecken auf dem Wams.
»Du bist verwundet!«, sagte ich entsetzt.
»Der blöde Verband ist aufgegangen.«
»Du musst sofort zu einem Arzt!«
»Kein Arzt. Hier heilen die Wunden am besten, indem man niemanden dranlässt.«
»Ich meinte natürlich einen richtigen Arzt!«
»Darauf muss ich leider verzichten.«
»Soll das heißen, du kannst nicht zurück?«
»Im Moment nicht.«
»Was meinst du damit?«
»Das erkläre ich dir später. Komm, lass uns gehen.«
Auf der Treppe wurde noch deutlicher, wie schlecht es ihm ging. Jeder Schritt tat ihm weh, er konnte das Stöhnen nicht unterdrücken, obwohl er es versuchte. Ich machte mir Sorgen, dass er ernstlich verletzt war. Nicht etwa, weil ihn das daran hindern könnte, mich zurück in die Zukunft zu bringen. Ich hatte einfach Angst um ihn.
»Wo gehen wir denn hin?«, fragte ich.
»Ich muss ausruhen und du musst dich verstecken. Ins Kloster kannst du nicht zurück, Bartolomeo hat mir erzählt, dass diese Dorotea sich ausgerechnet Alvise als Liebhaber zugelegt hat. In ihrer Nähe bist du nicht mehr sicher. José hat ein Zimmer besorgt, da sollten wir uns für eine Weile gefahrlos aufhalten können.«
»Du warst mit José unterwegs? Hätte er nicht besser auf dich aufpassen können? Wie bist du überhaupt verletzt worden? War es ein Unfall?«
Sebastiano stöhnte. »So viele Fragen. Können wir später darüber reden?«
Ich platzte fast vor Ungeduld, aber viel hätte er mir sowieso nicht erzählen können, denn unten im Haus hielten sich jede Menge Leute auf. Ein Diener reichte Sebastiano seinen Umhang und mir mein Tuch. Draußen stiegen wir in eine der Gondeln und Sebastiano nannte dem Bootsführer das Ziel. In steifer Haltung ließ er sich auf der Sitzbank nieder, sichtlich bemüht, seine Schmerzen nicht zu zeigen. Meine Angst wuchs, denn ich wusste, wie schnell man in dieser Zeit auch an harmlosen Verletzungen sterben konnte. Schon die kleinste offene Wunde könnte tödlich sein. Es gab weder Tetanusimpfungen noch sterile Kompressen. Allein in den beiden Wochen, die ich in Matildas Kräuterladen verbracht hatte, waren zwei Frauen dort gewesen, in deren Familien gerade jemand an Blutvergiftung gestorben war. Nichts und niemand hatte ihnen helfen können.
Stumm saß ich neben Sebastiano, während der Gondoliere das Boot mit kräftigen Ruderstößen über den Kanal trieb. Zu beiden Seiten erhoben sich die Palazzi am Ufer, dunkle Umrisse vor dem Nachthimmel, nur hier und da erleuchtet durch die Fackeln am Kai oder die Kerzen hinter den Fenstern. Es war ein Bild von märchenhafter Schönheit. Das dunkel schimmernde Wasser des Canal Grande, die beschauliche Szenerie um uns herum – all
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