Zeitfinsternis
Kinn auf den Tisch, und das Messer, das der Saarländer in der Hand hielt, fuhr ihm genau in die Kehle.
Sir Guy blieb nur noch kurz sitzen, um sich das Blut anzusehen, das plötzlich herausschoß. Dann erhob er sich und eilte, so gut es ging, zur Tür. Alle anderen Gäste verfolgten eine ähnliche Politik.
Draußen stand Gilbert bereit, und er selbst überlegte sich nur noch, daß er mit weit weniger Mühe ohne Bezahlung entkommen war, als er sich das einige Minuten zuvor vorgestellt hatte.
Ich deutete auf das bewegungslose Bild auf dem Wandschirm und sagte zu Raymond: „Sie existiert. Da ist sie doch.“
Aber er sah nicht hin, als hoffte er, daß sie verschwinden würde.
„Wie ist es denn mit den Leuten aus dem Dorf, was wissen sie von ihr?“
„Versuchen Sie doch mal, sie zu fragen. Sie sind alle tot.“
„Tot?“ sagte ich und drehte mich um, um ihn anzusehen.
„Die Androiden haben sie erwischt. Die Dorfbewohner waren unter den Zuschauern. Alle tot bis auf eine Ausnahme.“
„Und wer ist das?“
„Ein alter Mann, den sie zurückgelassen haben. Der ist aber inzwischen sicher tot; bald ist es vorbei.“
„Aha. Und wo ist sie jetzt? Sie ist doch nicht umgekommen, oder?“
„Sie ist vielleicht nach Westen gebracht worden“, sagte Raymond. „Wenn Sie warten wollen, kann ich das überprüfen.“
Ich wartete, und er entfernte sich und überprüfte, was immer das hieß. Das aber war seine Sache, nicht meine. Über die technische Seite brauchte ich mir keine Gedanken zu machen.
„Gestern abend war sie in Verdun“, teilte er mir schließlich mit.
„Heißt das, daß sie jetzt nicht mehr da ist?“
„Es scheint nicht so. Der neue Napoleon hat den Befehl gegeben, sie zu finden und zu ihm zu bringen.“
„Tatsächlich?“ sagte ich, und in meinem Kopf fingen einige Rädchen an, sich zu drehen.
„Tatsächlich“, sagte Raymond. „Und er ist nicht der einzige, der Interesse zeigt. Attila XXI. hat einen Ritter ausgeschickt, um sie zu suchen und ins Saarland zurückzubringen.“
„Und wie kommt er damit voran?“
„In ein paar Stunden ist er in Verdun.“
„Ich brauche ein Bild von ihr, und sämtliche Information über sie, die Sie ausgraben können. Das gleiche gilt für den Ritter, den Attila ausgeschickt hat.“
„Sir Guy von Angel.“
„Über diesen Engel“, sagte ich, aber Raymond lächelte nicht einmal. „Außerdem über die Leute, die Napoleon ausschickt.“
„Gut.“
„Ich möchte über neue Entwicklungen informiert werden. Bevor ich weggehe, rufe ich Sie noch einmal an. Ich mache mich jetzt fertig.“
Ich ging zurück, legte mich hin, starrte an die Decke, machte mir unloyale Gedanken und überlegte, wie ich die mir aufgetragene Aufgabe ausführen könnte.
Das namenlose Mädchen selbst suchen? Obwohl ich noch nicht einmal wußte, wo sie war?
Das fiel mir – wie es in dem alten Sprichwort heißt – nicht einmal im Traum ein.
Gilbert trug ihn in westlicher Richtung aus Verdun. Er behielt denselben Kurs bei, den er schon gehalten hatte, seitdem er von Blancz aus aufgebrochen war. Als ihm das klar wurde und er sich überlegte, was der lothringische Soldat ihm erzählt hatte – und was dann anschließend mit diesem Soldaten passiert war –, schien ihm diese Richtung ebenso gut wie jede andere zu sein.
Es war kurz vor Sonnenuntergang, als er sich zufällig umsah und seine Verfolger bemerkte. Er zweifelte etwas daran, ob er und der Soldat von der gleichen Person gesprochen hatten; aber irgendwie machte das nichts aus. Wenn das Mädchen tatsächlich in Verdun war, würde es genauso unwahrscheinlich sein, daß er sie dort fand wie hier, in der offenen Landschaft. Da er das offene Land der Stadt vorzog, war er dort, wo er war, besser dran.
Er betrachtete die Gegend, um die grünen und braunen
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