Zeitfinsternis
befriedigen konnten? Die Beobachtung dort hatte man eingestellt, aber die Akten von den Menschen, die vor der Machtübernahme der Rebellen dort gelebt hatten, waren noch da. Das war zehn Jahre her, und ungefähr zur gleichen Zeit war Erster aufgetaucht. Die Erinnerungen an seinen Coup waren sehr vage, vielleicht, weil ich zu der Zeit, als es passierte, Wächter an der Oberfläche gewesen war. Der vorherige Erste war unter äußerst verdächtigen Umständen ums Leben gekommen und mit ihm noch verschiedene andere. Wie hatte der jetzige Erste eigentlich geheißen? War er vorher nur Beobachter gewesen? Nachdem er einmal da war, mußte man ihm gehorchen. Das war die einzige Möglichkeit, zu überleben – für uns alle.
Aber: Wer konnte das Mädchen gewesen sein? Entweder war sie von unten oder von oben… oder von draußen. Der größte Teil der Welt war absolut unbewohnbar, aber waren nicht vielleicht ein paar einzelne Orte geblieben, an denen man leben konnte? Ziemlich unwahrscheinlich. Was aber war mit dem restlichen Europa oder vielmehr mit dem, was davon übrig war? Es war durchaus möglich, daß an den Grenzen der Gegenden, die wir beobachteten und bewachten, noch Menschen leben konnten. Wenn sie aber von daher gekommen wäre, dann hätte man sie gesehen, als sie in unser Gebiet eindrang – und das war nicht der Fall. Es gab keinerlei Belege für ihre Existenz, bevor sie in Blancz aufgetaucht war.
Vielleicht war sie einfach aus dem Nichts aufgetaucht, genau wie die Androiden, die die beiden Armeen umgebracht hatten. Vielleicht hatte sich die Schlacht gar nicht so abgespielt, wie jeder das annahm. Die Gegend, in der die Armeen aufgestellt worden waren, war so völlig unbedeutend gewesen, daß es dort keine Schirme gab, mit denen man die Auseinandersetzung hätte beobachten können. Nur Wächter Fell war Zeuge der Schlacht gewesen, und jetzt war er tot.
War Erster an allem schuld, – oder war das Mädchen, das er jetzt haben wollte, der Grund für den Streit? Tausende von Toten an der Oberfläche; der Mord an Fell, wie war das zu erklären? Gab es denn noch jemanden außer Erster, der zu solchen Taten in der Lage war? In einer gewissen Art stimmte vieles, wenn man davon ausging, daß Erster für alles verantwortlich war – sehr vieles sogar. Ebenso vieles stimmte allerdings auch nicht.
Das war nicht mein Problem. Ich hatte meine Anweisungen, und die würde ich jetzt ausführen. Dafür war ich da – geboren, ausgebildet, funktionstüchtig.
Er wußte, daß es nicht ehrlich war, aber daran konnte er auch nichts ändern. Er war in einem fremden Land, weit von der Heimat entfernt, mittellos, hungrig. Was würde wohl passieren, wenn der Wirt herausbekam, daß er für sein Essen nicht bezahlen konnte? Er wagte gar nicht, daran zu denken. Er gab sich statt dessen Mühe, so viel zu essen, wie er nur konnte. Es machte jetzt keinen Unterschied mehr, wieviel er aß, sein Schicksal würde doch das gleiche bleiben. Vielleicht würden sie ihn nur hinauswerfen; vielleicht kam er aber auch ins Gefängnis. Es war ihm eigentlich egal, obwohl er es kaum wagte, sich das selbst einzugestehen. Er bekam seinen lächerlichen Auftrag langsam satt. Er dachte, daß Attila XXI. ihn wahrscheinlich schon vollständig vergessen hatte, als er den Mann bemerkte, der neben ihm stand und auf ihn herabsah. Guy tat so, als würde er ihn nicht bemerken, beugte seinen Kopf über die Schale und schob sich mit dem Löffel noch einen Bissen in den Mund. Dann aber setzte sich der Mann ihm gegenüber an den Tisch, und der junge Saarländer spürte, wie seine Augen ihn durchbohrten. Dann sprach der Neuankömmling.
„Soviel ich gehört habe, versucht Ihr eine bestimmte junge Frau ausfindig zu machen.“
Guy hustete,
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