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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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Wä­re es da nicht leich­ter, einen dienst­ba­ren Geist aus der Er­de her­auf­zu­be­schwö­ren, der ihn vom Pferd her­ab­zer­ren und ihm die Keh­le durch­schnei­den wür­de? Der jun­ge Rit­ter rieb sei­nen Hals und be­tas­te­te sei­nen Adams­ap­fel, der beim Schlu­cken hoch­stieg. Wahr­schein­lich woll­ten sie ihn nicht um­brin­gen. Im Au­gen­blick nicht. Sie war­te­ten dar­auf her­aus­zu­fin­den, wo­zu er ge­kom­men war und was er tun wür­de. Und viel­leicht wuß­ten sie doch nicht, daß er da war. Sie konn­ten et­was nur se­hen, wenn sie hin­schau­ten, und viel­leicht schau­te nie­mand hin.
    Er frag­te sich, ob er die Frau je fin­den wür­de. Viel­leicht wür­de er ja je­man­den tref­fen, den er fra­gen konn­te, oh­ne sich zu ver­ra­ten.
    Was hät­te er an ih­rer Stel­le ge­tan? Er wuß­te es nicht. Es war ihm un­mög­lich, sich an ih­re Stel­le zu ver­set­zen, da in sei­nem Bild von ihr zu vie­le lee­re Stel­len wa­ren – ei­gent­lich be­stand es haupt­säch­lich aus lee­ren Stel­len. Wie aber hät­te er sich ver­hal­ten, wenn er ei­ner von den flä­mi­schen Sol­da­ten wä­re, die sie ent­führt hat­ten (da­bei muß­te er von der Vor­aus­set­zung aus­ge­hen, daß es sich so ab­ge­spielt hat­te)? Die­se Fra­ge war bei wei­tem nicht so schwie­rig zu be­ant­wor­ten; theo­re­tisch, wenn auch nicht prak­tisch, wuß­te er die Ant­wort.
     
     
    Ich wur­de von mei­nem mot­ten­zer­fres­se­nen Klep­per durch­ge­schüt­telt, mar­kier­te da­bei müh­sam ein Kreuz in mei­nem Ko­or­di­na­ten­sys­tem und zog dann ei­ne Ver­bin­dungs­li­nie zu der Stel­le, an der von An­gel nach Flan­dern ver­schwun­den war. Ich konn­te da­bei mei­ne künst­le­ri­schen Ta­len­te voll aus­le­ben, und bald war die Kar­te mit Dra­chen und Rie­sen, Mäu­sen und Lö­wen, Ele­fan­ten selbst­ver­ständ­lich, von Rit­tern hoch zu Roß und ei­ner Ka­ri­ka­tur mei­nes Auf­trags­ziels be­deckt.
    Es war ei­ne sau­be­re Leis­tung von ih­nen, daß sie den ge­nau­en Punkt kann­ten, an dem er nach Flan­dern hin­ein­ge­rit­ten war, und wie sie ihm den gan­zen Weg vom Schlacht­feld bis da­hin ge­folgt wa­ren. Ei­gent­lich nicht wirk­lich: Sie wa­ren die gan­ze Zeit bei ihm ge­blie­ben. Aber nicht bei dem Mäd­chen. Es gab be­stimmt Tau­sen­de und aber Tau­sen­de von Men­schen hier an der Ober­flä­che, de­ren Ak­ten nicht voll­stän­dig, um­fas­send oder auf dem neues­ten Stand wa­ren. Sie konn­te nicht die ein­zi­ge sein – und wenn sie es doch war, warum war sie dann die Aus­nah­me? Wahr­schein­lich war das der Grund, warum der Ers­te hin­ter ihr her war: um her­aus­zu­fin­den, warum sie an­ders war. Oder viel­leicht woll­te er sie des­halb, weil sie ei­ne Frau war, und nach al­lem, was man hör­te, ein per­fek­tes Ex­em­plar die­ser selt­sa­men Gat­tung. Hat­te der Ers­te einen Ha­rem? Mach­bar war das für ihn. Es konn­te sein, daß er von Hun­der­ten von Men­schen um­ringt war. Er hat­te sich aber of­fen­sicht­lich zu sei­nem ei­ge­nen Schutz im Hin­ter­grund ge­hal­ten; es moch­te ei­ne Men­ge Leu­te ge­ben, die ihn gern tot ge­se­hen hät­ten. Aber nie­mand sah ihn über­haupt je­mals – le­ben­dig oder tot. Ich aber wür­de es viel­leicht schaf­fen, wenn ich das Mäd­chen zu ihm brach­te.
    Aber erst ein­mal muß­te ich sie fin­den.
    Er hat­te sich ei­ne neue Theo­rie zu­recht­ge­legt. Sir Guy war in den nächs­ten paar Stun­den an ei­ner An­zahl von klei­nen Dör­fern vor­bei­ge­kom­men oder hin­durch­ge­rit­ten. Man­che wa­ren ver­las­sen, man­che nicht, aber nie­mand küm­mer­te sich um ihn. Dar­aus hat­te er ge­schlos­sen, daß der Mord an dem Grenz­pos­ten un­ent­deckt ge­blie­ben war, zu­min­dest zur Zeit. Die Theo­rie sah un­ge­fähr so aus:
    Zau­be­rer konn­ten nicht al­les se­hen oder wis­sen, wenn sie nicht selbst da­bei­ge­we­sen wa­ren oder einen Be­richt da­von er­hal­ten hat­ten. Und je­der Zau­be­rer war in der La­ge, sich mit je­dem an­de­ren in Ver­bin­dung zu set­zen und ihm zu be­rich­ten, was ge­sche­hen war. Wie sie das mach­ten, wuß­te er nicht, aber Zau­be­rer brach­ten vie­le Din­ge fer­tig, die für al­le an­de­ren un­mög­lich wa­ren. Des­halb war

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