Zeitgenossen - Kampf gegen die Sybarites (Bd. 2) (German Edition)
zu observieren. Zu unserem Triumph schien er tatsächlich keinerlei Verdacht zu schöpfen. Er war wohl noch nie zuvor beschattet worden, denn er bemerkte keinen von uns.
Schon bald hatten wir einen Überblick über die wöchentlichen Gewohnheiten und Pflichten des Comte de Radisset bekommen. Dienstag und Freitag Vormittag suchte er den Duc de Longueville auf, offenbar, um ihm Rapport zu erstatten. Montags und donnerstags empfing er selbst den Besuch von verschiedenen Sybarites, die in seinem Auftrag die Verschwiegenheit und Loyalität der anderen Mitglieder überwachten. Sofern keine Veranstaltung der Sybarites auf dem Programm stand, ging er Freitag und Samstag nachts gerne aus. Freitags vergnügte er sich bevorzugt mit ein paar Huren, die ihre Dienste in der Rue Saint-Denis feilboten, samstags besuchte er üblicherweise eine Theatervorführung am Boulevard du Temple.
Leider konnten wir nur wenig über die Mort-Vivants herausfinden, da wir natürlich nur im Schutze der Dunkelheit Radissets Haus erklimmen und zu den Fenstern hereinschauen konnten. Bei Tage wären solche Kletteraktionen sonst sicherlich vielen Passanten aufgefallen. Bei den wenigen Gelegenheiten, die wir hatten, einen Blick in das Innere von Radissets Haus zu erhaschen, bekamen wir die Mort-Vivants nur selten zu sehen. Anscheinend waren sie allerdings tatsächlich die willenlosen Sklaven, als die Radisset sie auf dem Ball Maddy gegenüber geschildert hatte. Wenn ihr Herr sie nicht brauchte, dämmerten sie in einem abgedunkelten Raum stumm vor sich hin und waren sofort zur Stelle, wenn er nach ihnen rief. Keiner der untoten Wächter führte eigenmächtig auch nur die winzigste Handlung aus. Vermutlich würden sie sogar verdursten, wenn Radisset nicht jede zweite Nacht ein paar Bettler zu ihnen schickte und ihnen befähle, sie auszusaugen. Zu unserem großen Bedauern machte Radisset während unserer Beschattung jedoch keinerlei Anstalten, neue Mort-Vivants zu erschaffen, so dass wir keine Chance erhielten, ihn dabei zu beobachten.
Nachdem ein weiterer Monat nahezu ereignislos verstrichen war, überlegten wir, die Beschattung des Comte de Radisset vorerst abzubrechen. Doch eines Nachts war uns dann doch das Glück hold.
Ich wollte Maddy gerade bei der Beschattung ablösen und hielt in der Rue de la Harpe unauffällig nach ihr Ausschau, als ich sie an der Fassade des Nachbarhauses von Radisset entdeckte. Sie schaute interessiert in den Innenhof des Comtes und so kletterte ich lautlos zu ihr, um zu sehen, was sie beobachtete. Im Innenhof ließ Radisset soeben von Stallburschen eine Kutsche fertigmachen. Als sie damit fertig waren, bestieg Radisset das Innere und ein Mort-Vivant den Kutschbock. Maddy und ich wechselten einen neugierigen Blick. Wie wir bei unseren Beobachtungen festgestellt hatten, benutzte Radisset nachts eigentlich nur selten eine Kutsche und ließ sie normalerweise auch nicht von einem Mort-Vivant kutschieren.
Die Kutsche rumpelte aus dem Hof und wir folgten ihr mit einigem Abstand. Schon bald merkten wir, dass Radisset sich anschickte, Paris in westlicher Richtung zu verlassen. Die Kutsche fuhr für unsere Verhältnisse nicht gerade schnell, und so fiel es uns nicht weiter schwer, ihr zu folgen und wir vergrößerten auf der Landstraße sogar noch unseren Abstand, um auf dem freien Gelände nicht entdeckt zu werden. Verwundert stellten wir nach ein paar Stunden fest, dass die Kutsche nach Caen fuhr und dort schließlich durch das bewachte gewaltige Tor der Festung Château de Caen rollte.
Das Château de Caen war eine riesige steinerne Trutzburg, die von hohen massiven Festungsmauern umgeben war. Da wir Radisset nicht auf demselben Wege folgen konnten, ohne entdeckt zu werden, rannten wir ein Stück die breite Festungsmauer entlang und landeten schließlich mit einem großen Sprung auf ihr. Von dort aus beobachteten wir, wie Radissets Kutsche vor dem Bergfried im Inneren der von einigen Fackeln schwach beleuchteten Festung anhielt. Radisset stieg aus der Kutsche und verschwand in einem Nebengebäude.
Maddy und ich sprangen in den Innenhof, schlichen uns hinter der Kutsche vorbei und gingen Radisset hinterher. Die Tür des Gebäudes war unbewacht und dem Klang von Radissets Schritten nach zu schließen, war er eine kleine Treppe hinabgestiegen. Wir folgten seinen Schritten und hechteten gleich darauf hastig hinter einen Mauervorsprung, als wir bemerkten, dass er stehengeblieben war und mit jemandem sprach. Wir hörten ein paar
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