Zeitgenossen - Kampf gegen die Sybarites (Bd. 2) (German Edition)
zur Entlastung des Angeklagten vorbringen kann, verkünde ich hiermit das Urteil: Maurice Balthazar d'Angibaud, sechster Comte de Périllat, wird in allen Anklagepunkten für schuldig befunden. Er hat sich des Verrates an der Gemeinschaft der Sybarites de Sang schuldig gemacht und wird dafür mit dem Tode bestraft. Das Urteil wird hier und sofort vollstreckt.«
Der Duc de Longueville klatschte in die Hände und ein weiterer Mort-Vivant betrat den Saal. Obwohl sie alle riesenhafte Gestalten waren, erschien er mir fast noch ein wenig größer als die beiden, die Périllat in seinem Stuhl festhielten. Wie alle Mort-Vivants trug auch dieser eine bodenlange Kutte aus grobem Sackleinen und eine Kapuze, die sein Gesicht verbarg. Nun jedoch lüftete er diese Kapuze und förderte damit einen grauenhaften Anblick zutage.
Ebenso wie bei dem Mort-Vivant, den Maddy und ich damals in Québec entdeckt hatten, dominierte ein enormes, lippenloses Haifischgebiss sein Gesicht und ebenso wie jener besaß er riesige, glutrote Augäpfel und eine gräuliche, halb verweste Haut. Darüber hinaus zierte jedoch eine große Delle seinen Schädel oberhalb der rechten Schläfe, die davon zeugte, dass er wohl seinerzeit mit einem schweren Gegenstand erschlagen worden war. Aufgrund dieser Delle waren die ohnehin schon abgrundtief hässlichen Proportionen seines Gesichtes noch in ein asymmetrisches Ungleichgewicht gebracht, beinahe so, als würde man sein Gesicht durch einen Zerrspiegel betrachten.
Die Gleichgültigkeit, mit der die meisten Zuschauer auf diesen Anblick reagierten, ließ vermuten, dass er ihnen schon von früheren Chambres Ardente vertraut war. Maddy und ich zumindest wechselten einen entsetzten Blick.
Auf Geheiß des Ducs de Longueville wandte sich der hünenhafte Mort-Vivant nun mit einem ohrenbetäubenden Fauchen dem Angeklagten zu und biss ihn in die Halsschlagader. Augenblicklich verbreitete sich ein beißender Aasgeruch im Saal. Der Comte de Périllat stieß einen heiseren Schrei aus, der rasch wieder verstummte. Eine unheimliche Stille breitete sich im Saal aus. Der Mort-Vivant ließ von Périllat ab, wischte sich über den Mund und verließ dann mit den anderen beiden Wächtern den Saal. Périllat blieb bewegungslos und mit starrem Blick in seinem Anklagestuhl sitzen.
Mit fassungslosem Grauen registrierten wir, wie er in Sekundenschnelle zu altern begann. Zunächst zogen sich unzählige Falten und Furchen durch die Haut seines zuvor noch so jugendlichen Gesichtes. Sein Teint wurde immer fahler, bis er schließlich einen schillernden Grauton angenommen hatte, während sein Körper in sich zusammenzuschrumpfen schien und seine Kleidung locker an ihm herabhing. Dann löste sich seine Haut auf, sein Fleisch verweste vor unseren Augen, zerfiel in Fetzen, bis sein ganzer Körper zuletzt nur noch ein Haufen Staub war.
Unfähig mich zu rühren, starrte ich weiterhin auf die sterblichen Überreste des Comte de Périllat, während der Duc de Longueville die Verhandlung für beendet erklärte und das Publikum langsam den Saal verließ. »Komm, Gemma«, vernahm ich die beruhigende Stimme Franciscos. »Wir dürfen uns nichts anmerken lassen.«
Ich ließ es zu, dass er mich hinausbrachte. Draußen gingen wir ans Seine-Ufer hinunter, wo die anderen schon auf uns warteten und wir außer Hörweite der sich verstreuenden Sybarites waren. Giles erblickte mich und kam mit raschen Schritten auf uns zu. »Gemma?«, fragte er stirnrunzelnd und griff nach meiner Hand.
»Das Ganze hat sie wohl ziemlich geschockt«, erklärte Francisco kühl, »aber wir kommen schon klar.«
»Das sehe ich«, fauchte Giles. »Und es sieht nicht so aus, als ob sie klarkommt.«
»Oh, bitte«, würgte ich hervor und machte mich von beiden los. »Ihr benehmt euch wirklich albern.«
Ich ging ein paar Schritte den Fluss hinunter und schloss mich Félice an, die sich tröstend bei mir unterhakte. »Es ist gerade alles ein bisschen viel, was?«, fragte sie nach einer Weile.
Ich seufzte nur. »Diese Hinrichtung …«, begann ich dann stockend,
»Ein alptraumhaftes Schauspiel, nicht wahr?«, stimmte sie mir zu. »Umso widerwärtiger ist es, dass offenbar noch viele Mitglieder ein sadistisches Vergnügen daran finden.«
Entgeistert starrte ich sie an. »Aber ihnen kann doch das Gleiche blühen, wenn sie die Sybarites verraten.«
»Oh, sie denken nicht, dass sie jemals in Verlegenheit geraten, die Sybarites zu verraten«, erklärte sie, »schließlich fühlen sie
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