Zeitgenossen - Kampf gegen die Sybarites (Bd. 2) (German Edition)
vor mir stand eine schwarze Katze, die mit einem Satz das Weite suchte. Ein paar Tage später sah ich dieselbe Katze wieder. Sie saugte an der Halsschlagader eines am Boden liegenden Mannes. Ich rechnete damit, dass sie erneut fliehen würde, doch mit der für Katzen typischen Neugier kam sie langsam auf mich zu. Ich blieb still stehen und sie strich mir um die Beine. Offenbar kam sie zu dem Schluss, dass sie nichts von mir zu befürchten hätte, denn nun ließ sie mich Zeuge ihrer umgekehrten Verwandlung werden. Sie richtete sich auf die Hinterbeine auf, wuchs in die Höhe, während ihr Fell sich zurückzog und ihre Gestalt sich wieder zu der jungen Frau verformte. Sie stand natürlich nackt vor mir, doch mit einer schnellen Bewegung hatte sie hinter einem Baum einen Sari hervorgeholt und übergezogen. Sie wollte von mir wissen, wer ich war, da sie noch nie einem Artgenossen begegnet war, der sich nicht verwandeln konnte. Im Gegenzug berichtete sie mir, was sie war.«
Fasziniert lauschten wir Miguels Geschichte. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«, fragte Maddy.
»Ich habe bislang nur Francisco einmal davon erzählt«, antwortete Miguel entschuldigend. »Es ist ja auch eine sehr seltsame Begebenheit.«
»Das ist es in der Tat«, stimmte ich ihm zu. »Und sind die Vampire dieses bengalischen Stammes die einzigen Artgenossen, die ihre Gestalt wandeln können?«
»Bei den Chordevas können es sogar nur die Frauen«, erklärte Miguel, »aber ein sehr alter Vampir hat mir einmal erzählt, dass es einige Artgenossen gebe, die sich tatsächlich auch in Spinnen, Fliegen und ähnliches Getier verwandeln könnten. Seiner Schilderung zufolge ist dies aber keine Fähigkeit, die man erlernen könne, sondern die allein durch die Abstammung eines Vampirs verursacht ist. Und zwar nicht die durch seine menschliche Geburt bedingte Abstammung, sondern die Blutlinie seiner Erschaffung als Vampir.«
»Unglaublich!«, sagte Maddy. »Ich hatte bislang immer geglaubt, dass wir alle gleich seien und letztendlich derselben Linie abstammten, aber allen Anschein nach gibt es also mehrere vampirische Ursprünge.«
Ich nickte zustimmend. »Ich hatte dasselbe angenommen, aber wohl mehr, weil ich mich auch noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt habe.«
»Was wäre denn, wenn ein paar der Sybarites solch einer Gestaltwandler-Linie entstammten?«, spekulierte Maddy dann. »Möglicherweise weilen sie in dem Fall doch noch unter uns, nur eben als Spinnen oder Fliegen?«
Beunruhigt sah ich sie an.
»Das halte ich für eher unwahrscheinlich«, schaltete sich nun Miguel wieder ein. »Selbst wenn ein paar von ihnen die Fähigkeit zur Gestaltwandlung hätten, so würden sie doch wohl kaum über Jahre hinweg in einer recht unvergnüglichen und wenig eleganten Tiergestalt verharren.«
»Stimmt«, pflichtete ich ihm grinsend bei. »Der Duc de Longueville als Insekt? Das wäre dann vermutlich doch unter seiner Würde.«
Maddy kicherte vergnügt. Dann wurde sie wieder ernst. »Aber demzufolge waren die von dir genannten Gelehrten-Berichte offenbar doch keine reinen Schauermärchen. Ein paar unserer Artgenossen können anscheinend tatsächlich ihre Gestalt wandeln. Wir sollten diese Vampirforscher vielleicht besser im Auge behalten. Am Ende beschließen sie womöglich sogar noch, auf uns Jagd zu machen. Sie können uns zwar kaum gefährlich werden, aber ich möchte auch nicht in die Verlegenheit kommen, einen von ihnen töten zu müssen.«
»Lass uns erstmal abwarten«, beruhigte ich sie. »Bislang hält sich ja die Zahl der Vampirforscher in ziemlich überschaubaren Grenzen. Zumal sie mit ihren Berichten wohl auch nicht überall auf Gehör stoßen. Viele der hiesigen Gelehrten amüsieren sich eher darüber.«
Der Philosoph Voltaire beispielsweise hielt die Vampirforschung für Unsinn. Seiner Ansicht nach waren eher die Börsenspekulanten und Geschäftsleute die »wahren« Blutsauger.
Auch andere Gelehrte, wie Diderot und Rousseau sowie viele Künstler vertraten einen ähnlichen Standpunkt. Viele von ihnen trafen sich regelmäßig im Café Procope und diskutierten über die Missstände in der Gesellschaft und die von der Obrigkeit missachteten Menschenrechte.
Der Marquise de Pompadour, der Mätresse des Königs, war es zu verdanken, dass sie dafür nicht noch häufiger inhaftiert wurden, als es ohnehin schon der Fall war. Diderot hatte zeitweilig in der Festung Vincennes in Haft gesessen und auch gegen Rousseau und Voltaire war
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