Zeitlabyrinth
anders; meine blauen Flecken sammeln sich an. Das bedeutet, daß ich nur hoffen kann, daß morgen ein leichterer Tag wird.«
4. Kapitel
1
Am nächsten Morgen verließ das Trio in aller Frühe gutgelaunt das Haus. In einer kleinen Papiertüte befand sich Verpflegung, und Mrs. Withers hatte ein 22er-Gewehr zusammen mit drei Patronen hervorgeholt. Roger entdeckte die Öffnung nach kurzer Suche.
»Wir bleiben am besten dicht nebeneinander«, sagte er. »Ich schlage vor, daß wir uns an den Händen halten, damit wir nicht getrennt werden und an verschiedenen Plätzen auftauchen.«
Mrs. Withers gab jedem ihrer Begleiter eine Hand. Mit Roger an der Spitze traten sie vor –
– und tauchten in tiefem Dämmerlicht auf, das über riesigen eisverkrusteten Nadelbäumen lag. Alles war still. Roger versank wadentief im weichen Schnee. Die Luft war eiskalt.
»Das war ein kurzer Tag«, brummte Luke. »Kehren wir um, und versuchen wir es noch einmal.«
»Daran hätte ich denken sollen«, sagte Roger. »Die Temperatur liegt bestimmt unter Null.«
»Ich laufe rasch zurück und hole Mäntel«, schlug Mrs. Withers vor.
»So funktioniert das nicht«, widersprach Roger. »Wir könnten an einem noch schlimmeren Ort landen. Sehen wir uns um, wenn wir schon mal hier sind. Möglicherweise haben wir es sogar geschafft. Wir könnten ganz in der Nähe auf eine Straße stoßen oder jenseits der Kuppe ein Haus entdecken. Es hat keinen Sinn, einfach davonzulaufen. Luke, Sie gehen dorthin –« er deutete zur Anhöhe – »und ich suche hier unten. Mrs. Withers, Sie warten auf uns. Wir sind gleich wieder zurück.«
Luke sah unglücklich drein, aber er nickte und marschierte in die angegebene Richtung. Roger tätschelte der Frau beruhigend den Arm und drang in den Wald ein. Schon jetzt schmerzten seine Hände, Zehen und Ohren, als hätte sie jemand mit einer Kneifzange bearbeitet. Der Atem stand in einer Dampfwolke vor seinem Gesicht. Er war noch keine hundert Schritte gegangen, als er den gefällten Baum sah.
Es war eine kleine, kaum überschneite Föhre mit dünnem Stamm. Jemand hatte die Mehrzahl der Äste abgeschnitten und säuberlich aufgestapelt. Der Stumpf war glatt, wie von einer scharfen Axt zurechtgehackt. Roger untersuchte den Boden nach Spuren. Er fand sie rasch. Sie waren vom Schnee halb zugeweht.
»Erst ein paar Stunden alt«, sagte er halblaut. Die Spuren führten den Hang hinauf. Er folgte ihnen, ein schwieriges Unterfangen in dem schwachen Dämmerlicht. Er hatte die Kuppe fast erreicht, als der dumpfe Knall eines Gewehrs die kalte Stille zerriß.
Einen Moment lang stand Roger wie erstarrt da und horchte auf das Echo des einzelnen Schusses. Er war von rechts gekommen, aus der Richtung, die Luke Harwood eingeschlagen hatte. Roger begann zu laufen. Die Schneewehen hielten ihn auf; immer wieder versank er in ihnen. Die eiskalte Luft brannte in seiner Kehle. Er gab das schnelle Tempo auf, durchforschte den düsteren Wald nach irgendwelchen Lebenszeichen, machte einen Bogen um einen gestürzten Baumriesen, geriet in tieferen Schnee. Weiter vorne hörte er schwache Geräusche, als hastete jemand durch den Schnee.
»Halt!« rief Roger, aber seine Stimme war nur ein leises Krächzen. Einen Moment lang ergriff ihn Panik, doch er verdrängte sie.
»Ich muß weg von hier«, flüsterte er. »Kälter, als ich dachte. Ich erfriere. Muß Luke suchen, zurück zu Mrs. Withers …«
Er stolperte weiter, mit tauben Händen und Füßen, zwängte sich durch hartes, eis verkrustetes Gestrüpp und sah eine zusammengesunkene Gestalt im Schnee. Es war Luke Harwood. Er lag auf dem Rücken und hatte eine Schußwunde in der Brust. Seine blicklosen Augen waren bereits von Rauhreif umrandet.
2
Roger sah, daß er nichts für Luke tun konnte. Er drehte sich um und – lief mit stolpernden Schritten auf die Stelle zu, wo er Mrs. Withers zurückgelassen hatte. Zehn Minuten später merkte er, daß er sich verirrt hatte. Er stand im wachsenden Dunkel und starrte auf die Bäume, die alle gleich aussahen. Er rief, aber es kam keine Antwort.
»Arme Mrs. Withers«, dachte er, und seine Zähne klapperten. »Hoffentlich kehrt sie um, bevor sie erfriert.« Er stolperte noch ein Stück weiter. Dann, ohne daß er sich an einen Sturz erinnerte, lag er in einer weichen Schneemulde. Im warmen, kuscheligen Schnee. Er mußte sich nur zusammenrollen und ein wenig ausruhen … dann konnte er … es später … noch einmal … versuchen
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