ZEITLOS - Band 3 (German Edition)
stellen.
Der Don beobachtete den immer kürzer werdenden Schatten, den das Brunnendach warf. Als dieser sich bis fast an den Fuß von dessen Mauer verkürzt hatte, wies er seinen Schüler an dorthin zu gehen und in den Schacht hinab zu sehen. Plätschner folgte der Anweisung.
Der Don blieb sitzen und beobachtete ihn. >Nun sieh hinunter! Das Licht wird jetzt bis zur Wasserfläche leuchten. Lass den Eimer hinab und beobachte ihn dabei genau!<
Plätschner löste die Sperrklinke der Kurbel, der Eimer begann Fahrt aufzunehmen und immer schneller in die Tiefe zu sausen. Brayasil vernahm das Geräusch des aufklatschenden Gefäßes. Noch immer kam die Kurbelwelle nicht zum Stehen, da der Eimer im Wasser versank, bis mit einem Ruck das Seil abgerollt und nun straff gespannt war und nur noch schwach zitterte.
>Bewahre dieses Bild in deiner Erinnerung. Lasse deinen Blick jetzt langsam an dem Seil entlang hinunter gleiten, folge dem Lichtstrahl der Sonne bis zur Wasseroberfläche, vergegenwärtige dir, wie der Eimer rasch im Wasser weiter sank. Nun komm wieder her und lege dich auf die Gartenliege hier!<
Plätschner stellte noch immer keine Fragen. Er wusste, dass dies eine Übung war, deren Sinn sich ihm erschließen würde. Geduld und Vertrauen, so hatte Brayasil seinem Schüler schon von Beginn an klargemacht, waren bei der schamanischen Ausbildung unerlässliche Voraussetzungen.
Brayasil hielt nun seine Trommel in der Hand und erklärte Plätschner die heutige Aufgabe: >Du wirst dich jetzt auf eine schamanische Reise in die untere Welt begeben. Wenn die Trommel zu schlagen beginnt, wirst du deinen Geist entlang des Brunnenseils hinab lassen, so, wie du den Eimer hast fallen sehen! Du wirst den dir bekannten Tunnel erblicken, dem du voller Vertrauen folgen wirst. Er ist nicht lang und auch nicht gerade. Wenn du das helle Ende siehst, begib dich dort hin. Wenn du in der Anderwelt angekommen bist, rufe deinen Nagual und bitte das Krafttier, dich zur Quelle deiner Weisheit zu bringen. Sage ihm, dass du herausfinden möchtest, welche Kraft in größter Resonanz zu deinem Lebensfeld steht. Wenn die Trommel dich zurückruft, wirst du den Eingang zum Tunnel finden, egal wie weit du dich zwischenzeitlich davon entfernt haben solltest. Was auch geschieht, erhalte dir dein vollständiges Vertrauen! Sollten dich Gefühle der Angst oder des Zweifels überkommen, dann löse sie sofort durch Vertrauen auf. Dies ist deine Aufgabe!<
Plätschner lag nun völlig entspannt in der Waagerechten, die Augen geschlossen, den Atem in völliger Harmonie. Stille lag um diese mittägliche Stunde im Hof der Villa Sabiduria. Der schnelle Trommelschlag setzte ein und ließ den Geist des Schülers auf die Reise gehen.
Brayasil schlug monoton die Trommel, bis der Schatten des Brunnenschachtes die Länge von drei Fuß erreichte. Für Sekunden schwieg sie daraufhin, dann folgten sieben langsame Schläge, wieder Pause, wieder sieben Schläge und noch einmal Pause, und ein drittes und letztes Mal trommelte er den Brake, der den schamanisch Reisenden zur Rückkehr mahnte. Der Don legte die Trommel beiseite und wartete, bis das Tagbewusstsein wieder die Kontrolle über den Körper des Schülers gewann.
Plätschners Augenlider flatterten. Er stöhnte leise, war aber noch nicht in der Lage, sich wieder aufzurichten. Hühner gackerten im Hof, leise strich der Wind um die Häuserecken des Anwesens. Endlich gewann Plätschners Geist die Kontrolle über die Muskulatur zurück. Er richtete sich auf, wirkte verstört. Don Rodriguéz de Sonora Brayasil wartete. Prüfend lag sein Blick auf dem Gesicht des Schülers. Hatte er diese Prüfung bestanden?
>Berichte mir von deiner Reise! Hast du deine Antwort gefunden?<
>Es begann so, wie du gesagt hast. Mein Schutzgeist begleitete mich durch neblige Schattenwelten. Ich sah Dschungel, tiefe Schluchten, eisbedeckte Berggipfel, ich fror entsetzlich. Ich sah Kreaturen, die keinerlei Ähnlichkeit mit Geschöpfen unserer Welt hatten. Sie waren freundlich, ich hatte keine Angst.
Dann sah ich eine weite Ebene, gehüllt in rosafarbenes Licht. In der Ferne stand ein riesiger, einzelner Baum. Mein Nagual sagte mir, dass dort mein Lehrer auf mich warte und forderte mich auf, allein dort hinzugehen. Mein Schutzgeist versicherte mir, er werde auf mich warten, bis ich von dort zurückkehre.
Ich wollte mich also zu diesem Baum begeben, doch ich kam nicht voran. So
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