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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Während Vic im Supermarkt und Bill im Wasserwerk schuften, vertändle ich den Tag.
Es gelüstete ihn mehr denn je nach einem Bier. Solange er ein Bier in der Hand hielt, konnte er sorglos sein. Die nagende Unsicherheit drang nicht ganz durch zu ihm.
»Also«, sagte er zu Junie und stand auf. »Ich gehe den Hügel hinauf zum Limonadenstand und erkundige mich, ob es vielleicht Bier gibt. Könnte sein.«
»Wie Sie wollen.«
»Möchten Sie irgend etwas? Limonade? Eine Cola?«
»Nein, danke«, sagte sie förmlich.
Als er den Wiesenhang zum Limonadenstand hinaufstieg, dachte er: Früher oder später müßte ich es mit Bill Black aufnehmen. Im Kampf.
Niemand konnte sagen, wie der Mann reagieren würde, wenn er dahinterkam. Ist er von der Sorte, die nach der Jagdflinte greift und sich wortlos auf den Weg macht, um den unbefugt in das heiligste Reservat eines Mannes Eingedrungenen niederzuschießen, in das elysische Feld, wo nur der Herr und Meister zu weiden wagte?
Das Königswild erlegen.
Er erreichte einen Betonweg, an dem grüne Holzbänke standen. Auf den Bänken saßen unterschiedliche Leute, meist ältere, beobachteten die Wiese und das Schwimmbecken darunter. Eine dicke, ältere Dame lächelte ihn an.
Weiß sie Bescheid? fragte er sich. Daß das, was sie unten verfolgt hat, nicht frühlingshaftes, glückliches, jugendliches Treiben war, sondern Sünde? Beinahe-Ehebruch?
»Guten Tag«, sagte er liebenswürdig zu ihr.
Sie nickte liebenswürdig zurück.
Er suchte in seinen Taschen und fand Kleingeld. Am Limonadenstand wartete eine Reihe von Kindern; sie kauften Hotdogs und Kaugummi und Speiseeis und Orangenlimonade. Er stellte sich an.
Wie still alles war.
Betäubende Trostlosigkeit überfiel ihn. Was für eine Verschwendung sein Leben gewesen war. Hier war er, mit seinen sechsundvierzig Jahren, und tändelte im Wohnzimmer mit einem Zeitungs-Preisausschreiben herum. Keine sinnvolle, ehrliche Anstellung. Keine Kinder. Keine Frau. Kein eigenes Heim. Versuche, sich an die Frau eines Nachbarn heranzumachen.
Ein wertloses Leben. Vic hatte recht.
Ich könnte ebensogut aufgeben, entschied er. Das Preisausschreiben. Alles. Irgendwohin gehen. Etwas anderes tun. Auf den Ölfeldern mit einem Schutzhelm schwitzen. Laub zusammenrechen. In irgendeinem Versicherungsbüro Zahlen addieren. Grundstücke verhökern.
Alles wäre reifer. Verantwortungsvoller. Ich schleppe mich in einer langanhaltenden Kindheit dahin ... Steckenpferde, so, als baue man Segelflugmodelle.
Das Kind vor ihm bekam seine Schokoladenstange und rannte davon. Ragle legte seine fünfzig Cent auf die Theke.
»Haben Sie Bier?« sagte er. Seine Stimme klang seltsam. Dünn und fern. Der Verkäufer mit weißer Schürze und Kappe starrte ihn an, starrte und regte sich nicht. Nichts rührte sich. Kein Laut irgendwo. Kinder, Autos, der Wind; alles war abgeschaltet.
Die Münze fiel hinab, durch das Holz, versank. Sie verschwand.
Ich sterbe, dachte Ragle. Oder sonst irgend etwas.
Angst ergriff ihn. Er versuchte zu sprechen, aber seine Lippen wollten sich nicht bewegen. Erfaßt von der Stille.
Nicht wieder, dachte er.
Nicht wieder!
Es geschieht wieder mit mir.
Der Limonadenstand zerfiel. Moleküle. Er sah die farblosen Moleküle ohne Eigenschaften, aus denen sie sich zusammensetzten. Dann blickte er hindurch, in den Raum dahinter, sah den Hügel, die Bäume und den Himmel. Er sah den Limonadenstand sich auflösen, zusammen mit dem Verkäufer, der Registrierkasse, dem großen Limonadenbehälter, den Hähnen für Cola und Ingwerbier, den Eiskästen für Flaschen, dem Würstchengrill, den Senftöpfen, den Eistüten, der Reihe runder, schwerer Metalldeckel, unter denen die verschiedenen Eissorten waren.
An seiner Stelle lag ein Zettel. Er streckte die Hand aus und ergriff ihn. Auf dem Zettel stand in Druckbuchstaben: ›Limonadenstand‹
Er wandte sich ab und ging unsicher zurück, vorbei an spielenden Kindern, vorbei an den Bänken und alten Leuten. Unterwegs schob er die Hand in die Jackentasche und fand das Metallkästchen.
Er blieb stehen, öffnete es, blickte auf die Zettel, die sich darin schon befanden. Dann legte er den neuen dazu.
Sechs im ganzen. Sechsmal.
Seine Beine schlotterten, und auf seinem Gesicht schienen sich Kältepartikel zu bilden. Eis rutschte in seinen Kragen hinab, vorbei an seiner grünen Strickkrawatte.
Er ging den Hang hinunter zu Junie.
    4
    Als die Sonne unterging, beschloß Sammy Nielson, noch eine letzte Stunde in den Ruinen zu spielen. Zusammen mit

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