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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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glitzernder Punkt vorbei und war verschwunden. Augenblicke später hörten sie und Ragle das schwache, fast absurd ferne Dröhnen.
»Ein Jet«, sagte sie.
Ragle starrte finster hinauf, beschattete die Augen und blickte in den Himmel, mit gespreizten Beinen mitten auf dem Gehsteig stehend.
»Vielleicht ein russischer?« fragte sie witzelnd.
»Ich möchte wissen, was da oben vorgeht.«
»Sie meinen, was Gott macht?«
»Nein. Nicht Gott. Ich meine das, was ab und zu vorbeischwebt.«
»Vic hat gestern abend davon gesprochen, er hätte im Badezimmer nach einer Zugschnur gesucht. Erinnern Sie sich?«
»Ja«, sagte er, als sie wieder den Hügel hinaufstiegen.
»Ich habe darüber nachgedacht. Mir ist das nie passiert.«
»Gut«, sagte Ragle.
»Nur ist mir etwas Ähnliches eingefallen. Ich stand eines Tages auf dem Gehsteig und habe gekehrt. Ich hörte im Haus das Telefon läuten. Das war vor etwa einem Jahr. Jedenfalls hatte ich auf einen wirklich wichtigen Anruf gewartet.« Auf den Anruf eines jungen Mannes, den sie von der Schule her kannte, aber diese Einzelheit erwähnte sie nicht. »Nun, ich ließ den Besen fallen und rannte hinein. Sie wissen, daß zwei Stufen zur Haustür führen?«
»Ja«, sagte er.
»Ich lief hinauf. Und zwar drei Stufen. Ich meine, ich dachte, da sei noch eine mehr. Nein, nicht in so vielen Worten. Ich sagte mir nicht vor: Ich muß drei Stufen hinaufsteigen ...«
»Sie meinen, Sie sind drei Stufen hinaufgegangen, ohne nachzudenken.«
»Ja.«
»Sind Sie hingefallen?«
»Nein. Das ist nicht so, als wären es drei, und man denkt, es seien nur zwei. Da fällt man auf die Nase und bricht sich einen Zahn ab. Wenn es zwei sind und man glaubt, es wären in Wirklichkeit drei – das ist wirklich seltsam. Man versucht, weiter hinaufzusteigen. Und der Fuß knallt herunter – peng! Nicht allzu hart, nur – nun, als wolle er sich auf etwas stellen, das nicht da ist.« Sie verstummte. "Wie immer, wenn sie etwas Theoretisches erklären wollte, verhedderte sie sich.
»Hm«, sagte Ragle.
»Das hat Vic gemeint, nicht wahr?«
»Hm«, sagte Ragle wieder, und sie ließ das Thema fallen. Er schien nicht in der Stimmung zu sein, darüber diskutieren zu wollen.
    Junie Black streckte sich neben ihm in der warmen Sonne auf dem Rücken aus, die Arme an den Seiten, die Augen geschlossen. Sie hatte eine Decke mitgebracht, weißblau gestreift, badetuchartig, auf der sie lag. Ihr Badeanzug, schwarze Wolle, zweiteilig, erinnerte ihn an vergangene Zeiten, Autos mit Notsitzen, Football-Spiele, Glenn Millers Orchester. Die komischen Radios aus Holz und Stoff, die sie zum Strand geschleppt hatten ... Colaflaschen im Sand, Mädchen mit langen, blonden Haaren, auf dem Bauch liegend, auf die Ellenbogen gestützt.
Er betrachtete sie, bis sie die Augen öffnete. Sie hatte ihre Brille abgenommen, wie immer bei ihm.
»Hallo«, sagte sie.
»Sie sind eine sehr attraktive Frau, June«, sagte Ragle.
»Danke.« Sie lächelte ihn an und schloß die Augen wieder.
Attraktiv, dachte er, wenn auch unreif. Nicht dumm, sondern eher zurückgeblieben. Immer noch an der Schulzeit hängend ... Auf der Wiese spielten kleine Kinder, kreischten und hieben aufeinander ein. Im Becken planschten junge Leute, Jungen und Mädchen, naß und durcheinandergemischt, so daß sie eigentlich alle gleich aussahen. Nur trugen die Mädchen, wenn sie auf die Platten herauskrochen, zweiteilige Badeanzüge und die Jungen nur Badehosen.
Drüben am Kiesweg schob ein Eisverkäufer seinen Karren. Die kleinen Glöckchen läuteten und machten die Kinder aufmerksam.
Wieder Glocken, dachte Ragle. Vielleicht deutete der Hinweis an, daß ich mit June Black hierhergehen würde – Junie, wie sie sich gern nennen ließ.
Könnte ich mich in ein kleines, kicherndes Ex-Schulmädchen verlieben, das mit einem Streber verheiratet ist und einen Eisbecher noch immer einem guten Wein oder gutem Whisky oder sogar dunklem Bier vorzieht?
Der Verstand beugt sich, wenn er dieser Art von Wesen begegnet, dachte er. Begegnung und Vereinigung von Gegensätzen. Yin und Yang. Der alte Doktor Faust sieht das einfache Mädchen den Gehweg kehren, und fort sind seine Bücher, sein Wissen, seine Philosophie.
Im Anfang war das Wort, dachte er.
Oder im Anfang war die Tat. Wenn man Faust war.
Paß auf, sagte er zu sich selbst. Er beugte sich über das scheinbar schlafende Mädchen und sagte auf Deutsch: »Im Anfang war die Tat.«
»Zum Teufel damit«, murmelte sie.
»Wissen Sie, was das

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