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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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ging in die Ecke und griff nach einem langen, schmalen Stoffbehälter. Er zog ein Plastikrohr mit Löchern heraus. Er schob ein Ende in ein Nasenloch, bedeckte die Löcher mit den Fingern und begann eine Melodie zu blasen. Eine Nasenflöte.
»Süß Flöt-Flöt«, sagte eines der Mädchen.
Der Bursche ließ die Flöte sinken, wischte sich mit einem kleinen, farbigen Tuch, das er aus dem Ärmel zog, die Nase und sagte dann in Richtung Ragle und Vic: »Wie fühlt man sich so als Irrer?«
Der Jargon ist vergessen, dachte Ragle, seit sie wütend sind. Die anderen im Zimmer, vor allem die Mädchen, starrten Ragle und Vic an.
»Ein Lunie?« sagte eines der Mädchen schwach. »Wirklich?«
»Klar«, sagte der Bursche. »Krawatten-Typen irre.« Er feixte, aber auch er wirkte unsicher. »Stimmt’s nicht?«
Ragle schwieg. Vic beachtete den Jungen nicht.
»Seid ihr allein?« fragte ein anderer. »Oder gibt es noch mehr von euch?«
»Nur uns«, sagte Ragle.
Sie starrten ihn wild an.
»Ja«, sagte er. »Ich gebe es zu.« Es schien ihnen Respekt abzunötigen wie nichts anderes. »Wir sind Irre.«
Keiner rührte sich. Sie blieben starr sitzen.
Einer der Burschen lachte.
»Also Krawatten-Typ irre. Na und?« Er zuckte die Achseln und holte seine Nasenflöte.
»Spiel Flöt-Flöt«, sagte ein Mädchen. Nun begannen drei Flöten zu wimmern.
»Wir vergeuden hier unsere Zeit«, sagte Vic.
»Ja«, sagte Ragle. »Es ist besser, wir gehen.« Er wollte die Tür öffnen, aber in diesem Augenblick sagte einer der Flötenspieler: »He, Krawatten-Typen.«
Sie blieben stehen.
»MP hinter euch her. Wenn ihr rausgeht, euch MP fangen.« Er spielte weiter. Die anderen nickten.
»Wißt ihr, was MP mit Irren machen?« sagte ein Mädchen. »MP gibt Dosis KL.«
»Was ist das?« fragte Vic.
Alle lachten, keiner antwortete. Das Flöten ging weiter.
»Krawatten-Typen blaß«, sagte einer der Burschen.
Draußen auf der Treppe knarrte es. Das Flötenspiel verstummte. Ein Klopfen.
Jetzt haben sie uns, dachte Ragle. Niemand im Zimmer bewegte sich, als die Tür aufging.«
»Ihr verflixten Gören«, murrte eine rauhe Stimme. Eine grauhaarige, ältere Frau, unförmig dick in einem Morgenmantel, starrte ins Zimmer. Sie trug Pelzslipper. »Ich hab’ euch gesagt, kein Blasen nach zehn. Aufhören.« Sie funkelte sie aus halbgeschlossenen Augen an. Dann entdeckte sie Ragle und Vic. »Oh«, sagte sie argwöhnisch. »Wer seid ihr?«
Sie sagen es ihr, dachte Ragle, dann hetzt sie in Panik die Treppe hinunter. Und die Panzer – oder womit die MP sonst fährt – rückt unten an. Ted, der Fahrer, hat inzwischen Zeit genug gehabt. Und die Kellnerin. Und alle anderen.
Jedenfalls waren wir draußen, dachte er, und haben gesehen, daß es 1998 ist, nicht 1959, daß ein Krieg im Gange ist und die Jugendlichen reden und sich kleiden wie westafrikanische Stammesangehörige und die Mädchen Männerkleidung tragen und sich die Köpfe rasieren. Und Geld, wie wir es kennen, ist irgendwann unter den Tisch gefallen. Zusammen mit Dieselmotoren. Aber wir haben nicht erfahren, was gespielt wird, dachte er dumpf. Warum sie die alte Stadt und die alten Autos und Straßen aufgebaut, uns jahrelang zum Narren gehalten haben ...
»Wer sind die beiden Herren?« fragte die Frau.
Eine Pause, dann sagte eines der Mädchen grinsend: »Sie suchen Zimmer.«
»Was?« sagte die Frau ungläubig.
»Sicher«, sagte ein Bursche. »Sie sind hier aufgetaucht und suchen ein Zimmer. Sind herumgestolpert. Haben Sie draußen kein Licht gemacht?«
»Nein«, sagte die alte Frau. Sie zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die weiche, runzlige Stirn; das Fleisch gab unter dem Druck nach. »Ich war schon im Bett.« Zu Ragle und Vic sagte sie: »Ich bin Mrs. McFee. Mir gehört das Haus. Was für Zimmer wollen Sie?«
Bevor Ragle eine Antwort einfiel, sagte Vic: »Wir sind mit allem zufrieden. Was haben Sie?« Dabei sah er Ragle erleichtert an.
»Tja«, sagte sie und watschelte auf die Treppe hinaus, »wenn mir die beiden Herren folgen wollen, zeige ich es Ihnen.« Auf der Treppe packte sie das Geländer und schaute sich nach ihnen um. »Kommen Sie«, sagte sie keuchend. Ihr Gesicht war vor Anstrengung angeschwollen. »Ich habe sehr schöne Räume. Wollen Sie etwas gemeinsam?« Sie sah sie zweifelnd an. »Gehen wir in mein Büro, da kann ich mit Ihnen über Ihre Anstellung reden, und ...« sie stieg Stufe um Stufe hinunter – »über andere Einzelheiten.«
Unten fand sie murrend und keuchend einen Lichtschalter; eine

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