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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Drogen, Waffen, irgendwelchen verbotenen Gegenständen. Er sollte einmal pro Woche mit dieser Prozedur rechnen.
    SAMSTAG , 17. SEPTEMBER
    Zeitoun lag den größten Teil des Tages im Bett, völlig übermüdet. Er hatte nicht geschlafen. Fast die ganze Nacht war ihm die Leibesvisitation durch den Kopf gegangen. Er hatte versucht, die Erinnerung daran zu verdrängen, aber jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er die Männer in den Kampfanzügen auf der anderen Seite der Zellentür, wie sie darauf warteten, hereinzustürmen und ihn zu packen.
    Seit Wochen, so kam es ihm vor, hatte er sich tagsüber einzelne Stunden Schlaf erschlichen und einige wenige nachts. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal länger als drei Stunden am Stück geschlafen hatte.
    Warum hatte er seiner Familie das angetan? Irgendetwas in diesem Land war kaputt, so viel stand fest, aber in diese Lage hatte er sich selbst gebracht. Er hatte sich geweigert, die Stadt zu verlassen. Er war geblieben, um seinen Besitz zu hüten, auf seinen Betrieb aufzupassen. Doch dann war er von etwas anderem erfasst worden, einem Gefühl von Bestimmung. Dem Gefühl, dass Gott ihn an diesen Ort gestellt hatte, damit er Sein Werk tue, Ihn mit guten Taten ehre.
    Jetzt erschien ihm das lächerlich. Wie hatte er nur so arrogant sein können? Er war ein Wagnis eingegangen und hatte dadurch seine Familie in Gefahr gebracht. Ihm hätte klar sein müssen, dass das Leben in einer Stadt, die praktisch unter Kriegsrecht stand, Risiken mit sich brachte. Er war nicht dumm. So viele Jahre lang war er vorsichtig gewesen. Er hatte sich bedeckt gehalten. Er war ein Musterbürger gewesen. Doch nach dem Sturm hatte er sich irgendwie eingeredet, er wäre dazu bestimmt, den Gestrandeten zu helfen. Er hatte geglaubt, dieses verfluchte Kanu würde ihm das Recht geben, als Beschützer und Retter aufzutreten. Er hatte die Perspektive verloren.
    Er hatte zu viel erwartet. Er hatte zu viel erhofft.
    Das Land, das er vor dreißig Jahren verlassen hatte, war ein Ort harter Realitäten gewesen. Die politischen Gegebenheiten dort hatten blindes Vertrauen unmöglich gemacht, die Illusion verhindert, alles würde stets ordentlich und gerecht ablaufen. Aber in den Vereinigten Staaten hatte er begonnen, an solche Dinge zu glauben. Hier war alles gut gegangen. Schwierigkeiten waren bewältigt worden. Er hatte hart gearbeitet und Erfolg gehabt. Der staatliche Apparat funktionierte. Selbst in New Orleans, wo der Apparat manchmal ziemlich langsam lief oder schlecht geölt war, funktionierte er die meiste Zeit.
    Aber jetzt funktionierte nichts mehr. Oder besser gesagt, die einzelnen Bestandteile des Apparates – Polizei, Militär, Gefängnisse –, die Menschen wie ihn eigentlich beschützen sollten, verschlangen jeden, der ihnen zu nahe kam. Er hatte immer geglaubt, die Polizei würde zum Wohle der Bürger handeln. Dass das Militär berechenbar wäre, vernünftig, und dass es gleichsam wie in konzentrischen Kreisen von Verordnungen, Gesetzen, gesundem Menschenverstand und schlichtem Anstand unter Kontrolle gehalten würde.
    Jetzt jedoch musste er diese Hoffnungen begraben.
    Dieses Land war nicht einzigartig. Dieses Land war fehlbar. Es wurden Fehler gemacht. Er selbst war ein Fehler. Im Zuge des blinden, unmäßigen Kampfes, den das Land gegen sichtbare und unsichtbare Gefahren führte, wurden Fehler gemacht. Unschuldige wurden verdächtigt. Unschuldige wurden eingesperrt.
    Ihm fiel das Wort Beifang ein. Es war ein Ausdruck, den die Fischer in seiner Kindheit verwendet hatten, wenn sie im Licht des Mondes, den sie selbst vortäuschten, nach Sardinen fischten. Natürlich gingen ihnen Tausende von Sardinen ins Netz, aber auch noch andere Geschöpfe, Leben, das sie eigentlich nicht fangen wollten und für das sie keine Verwendung hatten.
    Oft merkten sie das erst, wenn es zu spät war. Während sie ihren Fang an Land brachten, ein silbriger Berg, starben die Sardinen langsam. Zeitoun ruhte sich meist erschöpft im Bug aus und sah zu, wie die Fische allmählich den Kampf aufgaben. Und wenn die Fischer dann am Ufer die Netze entluden, kam manchmal noch etwas anderes zum Vorschein. Nie vergaß Zeitoun den Anblick des Delfins, eines herrlichen elfenbeinweißen Tieres, das auf dem Kai schimmerte wie Porzellan. Die Fischer stupsten ihn mit den Füßen an, aber er war tot. Er hatte sich im Netz verfangen und war unter Wasser gestorben, weil er nicht mehr zum Atmen an die Oberfläche konnte. Hätten sie ihn

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