Zeitoun (German Edition)
»Machen Sie schnell.«
»Danke«, sagte Zeitoun. »Sie heißt Kathy. Meine Frau. Wir haben vier Kinder.«
Zeitoun hatte nichts zu schreiben.
»Das ist gegen die Vorschriften«, sagte der Missionar und nahm einen Stift von seinem Rollwagen. Er hatte kein Papier. Jetzt waren sie beide nervös. Der Missionar stand schon zu lange vor Zeitouns Zelle. Er schlug eine Bibel auf und riss hinten eine Seite heraus. Zeitoun gab ihm die Nummer. Der Missionar stopfte die Seite in die Tasche und schob seinen Wagen rasch weiter.
Hoffnung keimte in Zeitouns Herz auf. Stundenlang konnte er sich nicht hinsetzen. Er ging auf und ab, hüpfte auf der Stelle, freudig erregt. Er stellte sich vor, wie der Missionar das Gefängnis verließ, in sein Auto stieg, die Telefonnummer hervorholte, Kathy von unterwegs anrief. Oder vielleicht würde er warten, bis er zu Hause war. Wie lange würde das dauern? Er zählte die Minuten, bis Kathy es erfuhr. Sie würde es erfahren! Er schätzte ab, wie viele Stunden es dauern würde, bis Kathy herkam, um ihn zu befreien. Wenn sie wusste, dass er lebte, konnte er warten. Das Ganze könnte Tage dauern, das wusste er. Aber er konnte warten, wenn er sie dann sehen würde. Es wäre kein Problem. Er malte sich alles aus. In einem Tag würde er frei sein.
In jener Nacht machte Zeitoun kaum ein Auge zu. Es gab einen Menschen auf der Welt, der wusste, dass er am Leben war. Er hatte seinen Boten gefunden.
MONTAG , 19. SEPTEMBER
Nach dem Frühstück kamen zwei Wärter an Zeitouns Zelle. Sie sagten Zeitoun, dass jemand ihn sprechen wolle.
»Wer? Wo?«, fragte Zeitoun. Es geht schon los, dachte er.
Die Wärter verrieten ihm nichts. Sie öffneten seine Zelle, legten ihm Handschellen und Fußfesseln an. Er wurde aus der Zelle und den Gang hinuntergeführt. Gleich darauf kamen sie zu einer anderen Zelle, in der Zeitoun abgesetzt wurde. Er wartete fünf Minuten, bis die Tür wieder aufging.
»Der Van ist da«, sagte der Wärter und übergab ihn an einen anderen Wärter, der mit ihm bis ans Ende eines anderen Ganges ging. Eine Tür öffnete sich, und Zeitoun wurde zu einem weißen Van geführt, der draußen wartete. Er blinzelte ins grelle Tageslicht. Er wurde in den Van verfrachtet, und der Wärter stieg mit ihm ein. Sie fuhren über das Gefängnisgelände und hielten schließlich vor dem Verwaltungsgebäude in der Nähe des Haupteingangs.
Zeitoun wurde aus dem Van geholt und an einen anderen Wärter übergeben, der ihn in das Gebäude führte. Drinnen gingen sie durch einen blitzsauberen Gang bis zu einem spartanischen Büro mit Betonwänden.
Auf dem Gang vor dem Büro saßen Nasser, Todd und Ronnie auf Klappstühlen. Zeitoun war überrascht, sie alle zusammen zu sehen, auch sie wechselten verwunderte Blicke. Zeitoun wurde an ihnen vorbei in einen kleinen Raum geführt.
In dem Raum standen zwei Männer in Anzügen. Sie setzten sich und bedeuteten Zeitoun, ebenfalls Platz zu nehmen. Sie waren vom Heimatschutzministerium, sagten sie. Sie lächelten Zeitoun herzlich an und erklärten, sie müssten ihm nur ein paar einfache Fragen stellen. Sie wollten von ihm wissen, was er beruflich machte. Er sagte, er sei Anstreicher und Bauunternehmer. Sie fragten ihn, warum er die Stadt nicht verlassen hatte wie alle anderen. Er sagte, er würde New Orleans bei Sturm nie verlassen und habe eine Reihe von Immobilien, auf die er aufpassen wollte. Sie fragten nach Todd, Nasser und Ronnie – woher er sie kannte. Er erläuterte sein Verhältnis zu jedem der drei. Sie fragten ihn, warum er kein Geld bei sich gehabt hatte.
»Was soll ich denn in einem Kanu während einer Überschwemmung mit Geld anfangen?«, fragte Zeitoun.
»Aber Nasser hatte Geld dabei«, sagte einer der Männer.
Zeitoun zuckte die Achseln. Er konnte nicht erklären, warum Nasser Geld bei sich gehabt hatte.
Die Vernehmung dauerte keine dreißig Minuten. Zeitoun war erstaunt, wie freundlich die Männer und wie einfach ihre Fragen waren. Sie fragten nicht nach Terrorismus. Sie beschuldigten ihn nicht, an einer Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten beteiligt zu sein. Am Ende entschuldigten sie sich für das, was Zeitoun durchgemacht hatte, und fragten, ob sie irgendetwas für ihn tun könnten.
»Bitte rufen Sie Kathy an«, sagte er.
Sie sagten, das würden sie.
MONTAG , 19. SEPTEMBER
Kathy war außer sich. Wenige Stunden zuvor hatte sie den Anruf des Missionars erhalten. Und jetzt klingelte erneut das Telefon. Yuko, die Kathy seit Tagen gegen
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