Zeitoun (German Edition)
Zivilisten. Die Passagiere von Kathys Flug schienen die einzigen Zivilpersonen im Gebäude zu sein. Sämtliche Geschäfte waren geschlossen. Die Beleuchtung war schwach. Überall lagen Abfälle herum – Müll, Zeitungen, Mullbinden und anderes Verbandsmaterial.
Adnan holte sie ab, und sie fuhren zu der Wohnung, die er und Abeer in Baton Rouge gemietet hatten. Erschöpft und emotional ausgelaugt, schlief Kathy noch mit den Schuhen an den Füßen ein.
MONTAG , 26. SEPTEMBER
Zeitoun wusste nichts von Kathys und Raleighs Bemühungen. Noch immer war ihm nicht erlaubt worden, jemanden anzurufen. Er wusste nur, dass ihm sowohl der Missionar als auch die Männer vom Heimatschutzministerium versprochen hatten, seine Frau anzurufen. Aber seitdem hatte er keine Bestätigung bekommen, dass der Kontakt hergestellt worden war.
Nach dem Mittagessen wurde Zeitoun aus seiner Zelle geholt. Wieder fesselte man ihn an Händen und Füßen und brachte ihn zu demselben Gebäude beim Haupteingang des Gefängnisses. Drinnen führte man ihn zu einem kleinen Raum mit Betonziegelwänden, in den ein Tisch und eine Handvoll Stühle gestellt worden waren. An einer Seite des Tisches saß ein Mann von Ende fünfzig, der einen Anzug trug. An der anderen Seite waren zwei Männer in Jackett und Krawatte. Drei weitere Häftlinge saßen auf Stühlen weiter hinten im Raum. Es war eine Art Gerichtssaal.
Ein junger Mann stellte sich Zeitoun als der Pflichtverteidiger vor. Er würde Zeitoun an diesem Tag vertreten. Zeitoun begann, seinen Fall zu erklären, die Irrtümer, die ihn in dieses Gefängnis gebracht hatten, und er bat darum, sofort seine Frau anrufen zu dürfen. Der Pflichtverteidiger schloss die Augen, um zu signalisieren, dass Zeitoun aufhören sollte zu reden.
»Sie sind nicht hier, um verurteilt zu werden«, sagte er. »Das ist bloß eine Anhörung, um eine Kaution festzusetzen.«
»Aber wollen Sie denn nicht –«
»Bitte«, sagte der junge Mann, »sagen Sie einfach nichts. Lassen Sie mich für Sie reden. Setzen Sie sich einfach und seien Sie still. Sagen Sie kein Wort.«
Die Anklage gegen Zeitoun wurde verlesen: Besitz von Diebesgut im Wert von 500 Dollar. Der Staatsanwalt schlug eine Kaution in Höhe von 150 000 Dollar vor.
Der Verteidiger wandte ein, dass Zeitoun nicht vorbestraft war und dass die Kaution deutlich geringer sein sollte. Er schlug 35 000 Dollar vor.
Der Richter legte die Kaution auf 75 000 Dollar fest. Damit war Zeitouns Anhörung beendet. Der Verteidiger streckte Zeitoun die Hand hin, und Zeitoun schüttelte sie. Als er aus dem Raum geführt wurde, schlug der Verteidiger die Akte des nächsten Häftlings auf. Auf dem Weg nach draußen bat Zeitoun erneut darum, telefonieren zu dürfen. Der Verteidiger zuckte die Achseln.
»Aber warum wird eine Kaution festgesetzt, wenn ich niemandem sagen kann, dass ich im Gefängnis bin?«, fragte Zeitoun.
Vom Richter, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger kam keine Antwort. Zeitoun wurde in seine Zelle zurückgebracht.
DIENSTAG , 27. SEPTEMBER
Raleigh rief Kathy an.
»Okay«, sagte er, »die Justiz funktioniert wieder halbwegs, und wir haben einen Gerichtstermin. Denen liegt ebenso viel daran, die vielen Fälle möglichst schnell abzuarbeiten, wie uns daran liegt, ihn da rauszuholen. Also trommeln Sie so viele Leute wie möglich zusammen, die zum Gericht kommen und für ihn aussagen können. Leumundszeugen.«
Das erschien Kathy vernünftig. Es war eine klar definierte Aufgabe, und sie stürzte sich darauf. Aber während sie eine Liste von Freunden zusammenstellte, die sie anrufen wollte, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Raleigh zu fragen, wo das Gericht war. Sie rief ihn zurück, erreichte aber nur seinen Anrufbeantworter.
Sie rief im Büro der Staatsanwaltschaft von New Orleans an. Eine Bandansage verwies sie an eine Nummer in Baton Rouge. Sie rief dort an und war darauf gefasst, wieder einen Anrufbeantworter zu hören, doch zu ihrer Überraschung meldete sich beim zweiten Klingeln eine Frau. Kathy fragte nach der Adresse des Gerichts.
»Im Augenblick haben wir keins«, sagte die Frau.
»Wie bitte?«, sagte Kathy. »Ich brauche einfach die Adresse des Gerichts, wo die Anhörungen stattfinden, die Anhörungen von Häftlingen in Hunt. Ich brauche nur die Anschrift des Gerichts.«
»So was haben wir nicht«, sagte die Frau.
»Ein Gericht?«
»Richtig.«
»Wo bezahlen die Leute denn ihre Strafzettel?«
»Im Augenblick zahlt keiner Strafzettel«, sagte
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