Zeitoun (German Edition)
Töchter sehen, aber die wussten ja nun, dass er in Sicherheit war, und das Geld wollte er lieber für andere Dinge verwenden – zum Beispiel für ihre Collegeausbildung. Er war bereits seit zweieinhalb Wochen in Haft; da würde er ein paar Tage mehr auch noch aushalten.
»Ich finde heraus, ob Sie eine Immobilie als Sicherheit einsetzen können«, sagte Raleigh.
»Rufen Sie Kathy an«, sagte Zeitoun.
MITTWOCH, 28. SEPTEMBER
Als Kathy nach Hunt kam, hielt sie den Atem an. Es war ein surrealer Anblick – der adrette weiße Zaun, der leuchtend grüne Rasen. Es sah aus wie ein Golfplatz. Weiße Vögel stoben auseinander, als sie über die lange Einfahrt zum Tor rollte.
Auf dem Parkplatz stieg sie aus und wartete. Es war halb neun Uhr morgens, und sie brauchte alle Freunde, die sie hatten. Die ersten trafen wenige Minuten später ein. Rob und Walt waren mit dem Auto aus Lafayette gekommen. Jennifer Callender, die für Walt arbeitete und deren Haus Zeitoun renoviert hatte, brachte ihren Mann und ihren Vater mit. Tom und Celeste Bitchatch, Nachbarn von der Claiborne, waren aus Houston angereist. Nabil Abukhader, der Direktor der Schule, auf die die Mädchen gingen, war aus dem French Quarter gekommen.
Alle umarmten sich. Keiner hatte geschlafen. Sie sahen alle mitgenommen aus und waren schockiert über den Anlass, der sie zusammengeführt hatte. Aber das Wissen, dass sie Gelegenheit haben würden, etwas über Abdulrahman Zeitouns Charakter zu sagen, gab ihnen auch Mut. Sie waren zuversichtlich, dass der Richter, wenn er sie alle angehört und begriffen hatte, dass die Polizei einen seriösen Geschäftsmann verhaftet hatte, ihn möglicherweise noch am selben Tag freilassen würde. Vielleicht könnten sie alle zusammen feiern.
Kathy konnte nicht aufhören, sich bei ihnen zu bedanken. Sie war ein Nervenbündel aus Tränen und Dankbarkeit und gespannter Erwartung.
Als Raleigh ankam, war er beeindruckt. Er rief sie alle zusammen und erklärte ihnen kurz, wie das Verfahren ablaufen würde. Er wusste nicht genau, wo oder auch nur wann die Anhörung stattfinden würde. Aber er war zuversichtlich, dass Zeitouns guter Ruf, seine Unbescholtenheit und diese Ansammlung von Leumundszeugen – eine bunte Mischung aufrechter Bürger von New Orleans – den Richter veranlassen würden, Abdulrahman Zeitoun mit wortreichen Entschuldigungen freizulassen.
Sie warteten den ganzen Vormittag über. Nichts geschah. Schließlich ging Raleigh hinein, um nachzufragen, was los sei. Er kam mit finsterer Miene wieder heraus.
»Die lassen keinen von euch rein«, sagte er.
Die Anhörung war abgesagt worden. Ohne Begründung.
Jetzt blieb nur noch die Zahlung der Kaution. Kathy würde nach New Orleans fahren und Papiere zusammensuchen müssen, die bewiesen, dass ihnen das Bürogebäude gehörte. Sie wollten das Gebäude als Sicherheit einsetzen.
Adnan bestand darauf, Kathy in die Stadt zu fahren.
Sie fuhren über die I-10 und nahmen die Ausfahrt Carrollton. Sogleich fiel ihnen der Geruch auf. Er war alles auf einmal – beißend, faulig und aufgrund der Äste und Bäume, die in der Sonne lagen, sogar wohlduftend. Aber vor allem war er überwältigend. Er war aufdringlich. Kathy hielt sich ihr Tuch vor die Nase, um seine Wucht abzuschwächen.
Die Stadt sah aus, als wäre sie vor Jahrzehnten verlassen worden. Autos, deren Lack von dem verseuchten Wasser grau verblasst war, lagen herum wie Spielzeug. Sie fuhren über die Carrollton zum Earhart Boulevard und mussten an einer Stelle auf die Gegenfahrbahn wechseln, um umgestürzten Bäumen auszuweichen. Die Folgen der Flut waren allgegenwärtig, und sie muteten eigenartig an – Autoreifen, Kühlschränke, Dreiräder, Sofas, ein Strohhut.
Die Straßen waren verwaist. Sie sahen keine Menschenseele, bis plötzlich wenige Straßen vom Büro entfernt ein Polizeiauto hinter ihnen hielt. Kathy sagte Adnan, er solle ihr das Reden überlassen. Das war eine bewährte Strategie, die sie mit Zeitoun entwickelt hatte. Es war immer unkomplizierter und schneller, wenn sie redete; ein arabischer Akzent provozierte nur weitere Fragen.
Zwei Polizisten näherten sich ihrem Wagen, beide die Hand an der Waffe. Der Officer am Fahrerfenster fragte Adnan, was er in der Stadt machte. Kathy lehnte sich hinüber, um ihre Anwesenheit zu erklären, und reichte ihren Führerschein durchs Fenster.
»Ich wohne in dem Haus weiter unten an der Straße«, sagte sie. »Wir sind nur hier, um den Schaden abzuschätzen und
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