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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Kathys Handy anrief.
    »Wir haben ihn!«, sagte sie.
    »Was? Im Ernst?«
    Sie reichte Zeitoun das Telefon.
    »Hallo, Bruder!«, sagte er.
    »Bist du das?«, fragte Ahmad.
    »Ich bin es«, sagte Zeitoun.
    »Gott sei Dank. Gott sei Dank. Wie geht es dir?«
    Ahmads Stimme bebte.
    »Ganz gut«, sagte Zeitoun. »Ganz gut. Hast du dir Sorgen gemacht?« Er versuchte zu lachen.
    Jetzt weinte Ahmad. »Oh, Gott sei Dank. Gott sei Dank.«

HERBST 2008
    Kathy hat das Gedächtnis verloren. Es bröckelt, ist unzuverlässig. Die Leitungen in ihrem Kopf sind an wichtigen Stellen unterbrochen, fürchtet sie, und in letzter Zeit passieren ihr die merkwürdigsten Dinge.
    Im November war sie bei der Bank, um Schecks von Kunden einzureichen und Bargeld für die Woche abzuheben. Sie kommt so oft in diese Bank, die Capital One, dass sie dort jeder kennt. An diesem Morgen begrüßten die Mitarbeiter sie wie üblich, als sie eintrat.
    »Hi, Mrs Zeitoun!«, riefen sie, und sie winkte und lächelte.
    Sie ging zu einer Angestellten, holte ihr Scheckheft hervor und griff nach einem Stift. Sie musste zwei Schecks ausstellen, einen, um Geld abzuheben, und einen, um Geld auf das Gehaltskonto des Betriebes zu überweisen.
    Sie füllte den ersten Scheck aus und gab ihn der Angestellten, und als sie die Augen wieder auf das Scheckheft richtete, stockte sie. Sie wusste nicht, was sie als Nächstes tun musste. Sie konnte sich nicht erinnern, was ihre Hand machen sollte. Sie wusste nicht mehr, wie man schreibt oder was man schreibt oder wohin man es schreibt. Sie starrte unverwandt auf das Scheckheft. Es kam ihr immer fremder vor. Sie konnte nicht mehr sagen, welchen Zweck das Scheckheft auf dem Schalter oder der Stift in ihrer Hand hatte.
    Sie schaute sich um, hoffte, jemanden mit den gleichen Dingen in der Hand zu entdecken, wollte sehen, was er damit machte. Sie sah Leute, aber die lieferten ihr keine Anhaltspunkte. Sie war ratlos.
    Die Angestellte sagte etwas, doch Kathy konnte die Worte nicht verstehen. Sie blickte die junge Frau an, aber die Laute aus ihrem Mund waren wirr, durcheinander.
    Kathy konnte nicht sprechen. Sie wusste in ihrem Innern, dass die Angestellte allmählich anfing, sich um sie zu sorgen. Los, konzentrier dich, ermahnte sie sich. Los, los, los, Kathy!
    Die Angestellte sagte wieder etwas, aber jetzt klangen die Laute weiter weg, als kämen sie von unter Wasser oder aus der Ferne.
    Kathys Augen blieben an der hölzernen Schiebetrennwand zwischen der Angestellten und ihren Kolleginnen hängen. Sie verlor sich in der hellen Holzmaserung, ihr Blick glitt über die elliptischen Alterslinien in der Oberfläche. Dann merkte sie, was sie da machte, dass sie die Maserung anstarrte, und sie beschwor sich, damit aufzuhören.
    Konzentrier dich!, dachte sie. Los jetzt.
    Ihre Hände fühlten sich taub an. Sie sah verschwommen.
    Komm zurück! Komm zurück!
    Und ganz allmählich tat sie es. Die Angestellte redete. Kathy verstand ein paar Worte. Sie spürte, wie sie wieder in ihren Körper zurückkehrte, und plötzlich rastete alles wieder ein.
    »Mrs Zeitoun, geht’s Ihnen nicht gut?«, fragte die Angestellte wieder.
    Kathy lächelte und winkte ab.
    »War nur kurz mal weggetreten«, sagte sie. »Hektischer Tag.«
    Die Angestellte lächelte erleichtert.
    »Alles bestens«, sagte Kathy und stellte den zweiten Scheck aus.
    Sie vergisst Zahlen, Namen, Daten. Es fällt ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie sagt Freunden, dass sie verrückt wird, und lacht dann selbst darüber. Sie wird nicht verrückt, da ist sie sicher, und sie sind sicher – die meiste Zeit und vor allem bei den meisten Menschen, die sie kennt, ist sie noch immer die alte Kathy –, aber Vorfälle wie der in der Bank häufen sich. Sie ist nicht mehr so scharfsinnig, wie sie mal war, und sie hat schon mal kleine Aussetzer. Da fällt ihr plötzlich der Name eines Handwerkers nicht mehr ein, den sie seit zehn Jahren kennt. Oder sie hat auf einmal das Telefon in der Hand, und es klingelt am anderen Ende der Leitung, aber sie hat keine Ahnung, wen sie anruft und warum.
    Es ist Herbst 2008, und die Zeitouns sind dabei, in ein neues Haus einzuziehen. Eigentlich ist es dasselbe Haus – das auf der Dart Street –, aber es wurde entkernt, vergrößert, verdreifacht. Dank eines Anbaus bekommen jetzt alle Kinder ein eigenes Zimmer, und Kathy wird zu Hause arbeiten können. Es gibt Balkone, Giebeldächer, eine geräumige Küche, vier Bäder, zwei Wohnzimmer. Für die Zeitouns erfüllt sich

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