Zeitoun (German Edition)
Kathy und Adnan zum Gefängnis und kamen vor acht Uhr dort an. Sie gingen ins Büro, wo ihnen gesagt wurde, dass Zeitoun im Laufe des Tages entlassen werden würde. Sie warteten in demselben Raum, in dem sich zwei Tage zuvor Zeitouns Freunde versammelt hatten.
Sie warteten bis elf. Nichts. Zwölf. Noch immer nichts. Erst um ein Uhr bekamen sie endlich Bescheid, dass er jeden Moment entlassen werden würde. Kathy wurde angewiesen, draußen auf ihn zu warten. Ein Bus würde ihn vor dem Tor absetzen.
Zeitoun war in seiner Zelle und betete.
Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen:
Alle Lobpreisung gebührt Allah, dem Herrn der Welten.
Dem Allerbarmer, dem Barmherzigen.
Dem Herrscher am Tage des Gerichts.
»Zeitoun!«
Ein Wärter rief ihn.
Der Wärter kann warten, dachte Zeitoun. Er hatte keine Ahnung, dass Kathy da war und seine Entlassung unmittelbar bevorstand.
Er betete weiter.
Dir allein dienen wir und Dich allein flehen wir um Hilfe an.
Leite uns den rechten Weg,
den Weg derer, denen Du gnädig bist,
nicht derer, denen Du zürnst,
und nicht derer, die in die Irre gehen.
»Zeitoun!« Jetzt stand der Wärter vor seiner Zelle und schrie durch die Gittertür. »Fertig machen!«
Zeitoun betete erst zu Ende. Der Wärter geduldete sich. Als Zeitoun aufstand, nickte der Wärter ihm zu.
»Packen Sie Ihre Sachen zusammen. Sie kommen heute raus.«
»Was?«, sagte Zeitoun.
»Nun machen Sie schon.«
Zeitoun sank gegen die Wand. Seine Beine hatten ihm den Dienst versagt.
Kathy wartete mit Adnan vor dem Gefängnis.
Ein weißer Bus hielt am Tor. Drinnen bewegte sich eine Gestalt von links nach rechts und stieg dann aus. Es war Abdulrahman, ihr Mann. Er hatte zwanzig Pfund abgenommen. Er sah völlig verändert aus, kleiner, mit längerem Haar, das fast völlig weiß war. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Er ist so klein, dachte sie. Wilder Zorn durchfuhr sie. Verflucht sollen sie sein. Ihr alle, die ihr dafür verantwortlich seid.
Zeitoun sah sie. Er lächelte, und sie ging zu ihm. Vor lauter Tränen konnte sie kaum sehen. Sie rannte auf ihn zu. Sie wollte ihn beschützen. Sie wollte ihn in ihre Arme schließen und ihn heilen.
»Zurücktreten!«
Eine schwere Hand legte sich auf ihre Schulter. Ein Wärter hielt sie auf.
»Bleiben Sie hier stehen!«, schnauzte er.
Kathy hatte eine Grenze überschritten. Sie konnte sie nicht sehen, aber die Wachen hatten einen Bereich festgelegt, den Verwandte der Häftlinge nicht betreten durften.
Sie wartete, nur wenige Schritte von ihrem Mann entfernt. Sie starrten einander grimmig lächelnd an. Er sah aus wie ein trauriger alter Mann. Er trug eine Jeanshose, ein Jeanshemd, orangefarbene Flipflops. Gefängniskleidung. Sie war zwei Nummern zu groß und hing an ihm herunter.
Wenige Minuten später war er frei. Er ging auf sie zu, und sie rannte in seine Arme. Einen langen Moment hielten sie einander umschlungen. Sie konnte seine Schulterblätter fühlen, seine Rippen. Sein Hals wirkte so dünn und zerbrechlich, seine Arme skelettartig. Sie wich zurück, und seine Augen waren noch dieselben – grün, mit langen Wimpern, honigweich –, aber sie blickten müde, besiegt. Das hatte sie noch nie an ihm gesehen. Man hatte ihn gebrochen.
Zeitoun umarmte Adnan und löste sich dann schnell von ihm.
»Wir sollten fahren«, sagte Zeitoun.
Alle drei stiegen rasch ins Auto. Sie wollten nicht, dass, wer auch immer hierfür verantwortlich war, doch noch seine Meinung änderte. Es hätte sie nicht überrascht. Gar nichts hätte sie noch überrascht.
Sie ließen das Gefängnis so schnell sie konnten hinter sich. Nachdem sie das Haupttor passiert hatten, fühlten sie sich schon besser, und als sie die lange Einfahrt mit dem weißen Zaun entlangfuhren und die Straße erreichten, fühlten sie sich noch besser. Zeitoun vergewisserte sich einige Male mit einem Blick nach hinten, dass ihnen auch niemand folgte. Adnan schaute in den Rückspiegel, während sie über die Landstraße brausten, wollte den Abstand zwischen ihnen und dem Gefängnis möglichst schnell vergrößern. Sie fuhren über eine lange Allee mit hohen Bäumen, und mit jeder Meile wuchs ihre Gewissheit, dass Zeitoun wirklich frei war.
Kathy saß auf der Rückbank, den Arm nach vorn gestreckt, und streichelte den Kopf ihres Mannes. Aber sie wollte ihm näher sein. Sie wollte ihn in die Arme schließen, sie wollte ihn halten und ihn wiederaufrichten.
Sie waren gerade erst zehn Minuten vom Gefängnis weg, als Ahmad auf
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