Zeitoun (German Edition)
Haus, und keiner wollte es kaufen, solange ein Container vor dem Haus stand und nicht von der Stelle zu bewegen war.
Aber die FEMA holte ihn nicht wieder ab. Kathy rief jede Woche dort an, erklärte den FEMA-Mitarbeitern, sie hätten den Container nie in Gebrauch genommen und jetzt würde er den Wert ihrer Immobilie verringern. Jedes Mal versicherte man ihr, er würde demnächst abgeholt werden, jedoch nicht ohne die Bemerkung, dass schließlich Tausende Menschen froh wären, einen solchen Wohncontainer zu haben; wieso also wollte sie ihn unbedingt loswerden?
Im Juni 2006 kam ein FEMA-Mitarbeiter, um die Schlüssel abzuholen. Er sagte, er werde umgehend Leute schicken, um den Container abzuholen. Monate vergingen. Von der FEMA ließ sich niemand mehr blicken. Kathy rief wieder dort an und erfuhr, dass keiner etwas über die Abholung der Schlüssel wusste.
Schließlich, im April 2007, schrieb Kathy einen Brief an die Times-Picayune, in dem sie die unendliche Geschichte des Wohncontainers schilderte. Zu dem Zeitpunkt stand der Container seit vierzehn Monaten ungebraucht und unbrauchbar an Ort und Stelle. An dem Morgen, als der Brief abgedruckt wurde, rief ein FEMA-Mitarbeiter bei Kathy an.
»Wie lautet Ihre Adresse?«, fragte er.
Noch am selben Tag wurde der Container abgeholt.
Kathys Gedächtnisprobleme machten anderen, ebenso unerklärlichen Beschwerden Platz. Sie bekam Magenprobleme. Wenn sie nur eine Kleinigkeit aß, zum Beispiel eine einzige Nudel, schwoll ihr Bauch auf doppelte Größe an. Bald musste sie würgen, sobald sie versuchte, etwas zu essen. An manchen Tagen bekam sie keinen Bissen herunter, und wenn doch, musste sie gegen einen ständigen Brechreiz ankämpfen.
Sie wurde ungeschickter. Sie stieß Gläser und Tassen um. Sie zerbrach eine Lampe. Ständig ließ sie ihr Handy fallen. An manchen Tagen fühlte sie sich beim Gehen wie beschwipst. Sie schwankte hin und her und musste sich an den Wänden abstützen, als wäre ihr schwindelig. Manchmal verlor sie in Händen oder Füßen das Gefühl, wenn sie gerade irgendwelche alltäglichen Dinge tat, Auto fuhr oder den Kindern bei den Hausaufgaben half.
»Was ist nur mit mir los, Schatz?«, fragte sie ihren Mann.
Sie ließ sich untersuchen. Da so viele ihrer Symptome auf eine degenerative Erkrankung hindeuteten, mutmaßte ein Arzt, sie habe Multiple Sklerose; sie ließ eine Endoskopie machen, eine Kernspintomografie und schluckte für eine Untersuchung ihres Magendarmtrakts Kontrastmittel. Ärzte testeten ihre kognitiven Fähigkeiten, und sie schnitt bei allen Tests schlecht ab, die das Gedächtnis und die Wiedererkennungsfähigkeit betrafen. Insgesamt deuteten die Tests auf eine posttraumatische Belastungsstörung hin, und Kathy hat bis heute noch keine Idee, wie sie das Problem in den Griff bekommen soll.
Kathy und Zeitoun hatten nicht die Absicht, irgendjemanden wegen seiner Inhaftierung zu verklagen. Sie wollten das Ganze hinter sich lassen. Aber Freunde und Verwandte machten ihrer Empörung Luft und überzeugten die beiden, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Also nahmen die Zeitouns sich einen Anwalt, Louis Koerner, um eine Zivilklage gegen die Stadt, den Staat Louisiana, die Gefängnisse, die Polizei und ein halbes Dutzend anderer Behörden und Personen einzureichen. Sie gaben jeden an, der ihnen einfiel – vom Bürgermeister bis hin zu Oberstaatsanwalt Eddie Jordan. Jeder, der sich ein bisschen mit dem Gerichtswesen in New Orleans auskannte, sagte ihnen, sie müssten sich hinten anstellen. Hunderte, vielleicht sogar Tausende führten Klagen gegen die Stadt, die Regierung in Washington, die FEMA, Polizeibeamte, das Army Corps of Engineers. Drei Jahre nach dem Sturm war kaum eines dieser Verfahren abgeschlossen.
Wenige Monate nach Zeitouns Freilassung bekam Louis Koerner sein Festnahmeprotokoll in die Hände. Kathy war schockiert, dass es überhaupt eins gab, dass tatsächlich Protokolle geschrieben und aufbewahrt worden waren. Die Namen der Männer zu erfahren, die ihren Mann festgenommen hatten, war zunächst eine Genugtuung, doch eigentlich stachelte es nur ihren Zorn an. Sie wollte Gerechtigkeit. Sie wollte diese Männer sehen, sie zur Rede stellen, sie bestrafen. Der festnehmende Beamte hieß Donald Lima, und dieser Name, Donald Lima, brannte sich ihr ein. Der andere Beamte, dessen Name in dem Protokoll genannt wurde, hieß Ralph Gonzalez. Lima wurde als Angehöriger der Polizei von New Orleans bezeichnet.
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