Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
werkelte ein bisschen im Haus herum, genoss den kühlen Abend.
    »Ihr hättet bleiben sollen«, sagte er. »Es ist so angenehm hier.«
    »Das werden wir ja noch sehen, du Besserwisser«, sagte sie.
    Obwohl sie erschöpft war und von den Blähungen ihres Hundes schier in den Wahnsinn getrieben wurde, freute Kathy sich auf ein paar Tage in Baton Rouge. Zumindest in manchen Momenten freute sie sich darauf. Ihre Familie war nicht gerade einfach, so viel war klar, und jeder Besuch konnte schnell und unwiderruflich schiefgehen. Es ist kompliziert, erklärte sie anderen gern. Mit acht Geschwistern hatte sie eine turbulente Kindheit gehabt, und als sie zum Islam konvertierte, hatten sich die Auseinandersetzungen und Missverständnisse nur noch verschärft.
    Meistens war ihr Hijab der Auslöser. Wenn sie hereinkam und ihre Taschen abstellte, sagte irgendjemand sofort: »Jetzt kannst du das Ding ja wohl abnehmen.« Sie war seit fünfzehn Jahren Muslimin, und noch immer bekam sie das zu hören. Als würde sie das Kopftuch unter Zwang tragen und nur in Zeitouns Beisein, wie eine Verkleidung, die sie ablegen konnte, wenn er nicht dabei war. Als könnte sie nur im Haus Delphine endlich sie selbst sein, sich gehen lassen. Genau das hatte ihre Mutter ihr bei ihrem letzten Besuch regelrecht befohlen: »Nun nimm das Ding ab«, hatte sie gesagt. »Zieh los und amüsier dich mal.«
    Es war aber auch schon vorgekommen, dass es ihrer Mutter gelang, ihre Probleme mit dem Islam hintanzustellen, wenn ihre Loyalität zu Kathy gefragt war. Vor Jahren waren Kathy und ihre Mutter gemeinsam auf dem Straßenverkehrsamt gewesen, um Kathys Führerschein verlängern zu lassen. Kathy trug ihren Hijab, und als sie sich hinsetzte, um ihr neues Führerscheinfoto machen zu lassen, hatte sie schon reichlich argwöhnische Blicke von anderen Wartenden und den Mitarbeitern geerntet. Die Frau hinter der Kamera machte keinen Hehl aus ihrer Verachtung.
    »Nehmen Sie das Ding ab«, sagte sie.
    Kathy wusste, dass sie das Recht hatte, ihr Kopftuch für das Foto aufzubehalten, aber sie wollte keine Szene verursachen.
    »Hätten Sie vielleicht eine Bürste?«, fragte Kathy. Sie versuchte, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen: »Ich möchte nicht, dass meine Haare auf dem Foto ganz platt gedrückt aussehen.« Kathy lächelte, doch die Frau starrte sie nur ungerührt an. »Wirklich«, erklärte Kathy, »ich nehme ihn ab, aber nur, wenn Sie eine Bürste haben …«
    In dem Moment eilte ihre Mutter ihr zur Hilfe – auf ihre eigene Art.
    »Sie kann ihn aufbehalten!«, schrie ihre Mutter. »Sie kann, wenn sie will!«
    Jetzt waren alle aufmerksam geworden und verfolgten die Szene. Kathy versuchte, die Situation zu entschärfen. »Mama, ist schon gut«, sagte sie. »Ehrlich, alles in Ordnung. Mama, hast du eine Bürste dabei?«
    Ihre Mutter nahm Kathys Frage gar nicht zur Kenntnis. Sie hatte nur Augen für die Frau hinter der Kamera. »Sie können sie nicht zwingen, ihn abzunehmen! Das ist ihr verfassungsmäßiges Recht!«
    Schließlich verschwand die Frau in irgendeinem Büroraum. Sie kehrte mit der Erlaubnis eines Vorgesetzten zurück, Kathy mit Hijab zu fotografieren. Als der Blitz losging, versuchte Kathy zu lächeln.
    Ihre Kindheit war von drückender Enge in einem eingeschossigen Haus in Baton Rouge geprägt gewesen, von viel Gezeter und Auseinandersetzungen. Neun Kinder lebten auf hundertdreißig Quadratmetern, schliefen zu dritt in einem Zimmer und kämpften um das einzige Bad. Trotzdem waren sie zufrieden oder doch so zufrieden, wie es ihnen unter den gegebenen Umständen möglich war, und ihre Wohngegend war von ordnungsliebenden, ähnlich großen Arbeiterfamilien geprägt. Kathys Elternhaus grenzte an die Sherwood Middle School, einen großen Komplex mit einer multiethnischen Schülerschaft, in der Kathy sich oftmals überfordert fühlte. Sie war eine von nur wenigen Weißen, und sie wurde schikaniert, herumgeschubst, angegafft. So lernte sie schnell, sich zu wehren und kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
    Ab dem Alter von sechs Jahren war sie mindestens zehnmal von zu Hause weggelaufen und fast jedes Mal zu ihrer besten Freundin Yuko, die nur wenige Straßen entfernt wohnte, auf der anderen Seite der Highschool. Sie und Yuko gehörten zu den wenigen nicht afroamerikanischen Kindern in der Gegend, und durch ihren Außenseiterstatus fühlten sie sich einander eng verbunden. Yuko lebte allein mit ihrer Mutter Kameko; Kamekos Mann war bei einem Unfall, den

Weitere Kostenlose Bücher