Zeitoun (German Edition)
gefunden zu haben. Zeitouns letzte Gedanken vor dem Einschlafen galten Kathy und den Kindern; er fragte sich, ob es nicht doch langsam an der Zeit war, New Orleans zu verlassen.
DIENSTAG , 6. SEPTEMBER
Am nächsten Morgen, nach seinen Gebeten, paddelte Zeitoun zu den Hunden auf der anderen Straßenseite und fütterte sie. Als er zum Haus zurückkam, sah er, dass Nasser seine schwarze Reisetasche in der Hand hatte.
Zeitoun deutete mit dem Kinn darauf. »Willst du fort?«
Nasser bejahte. Er wollte sich ausfliegen lassen. Der Abschied würde Zeitoun zwar schwerfallen, aber er war froh, dass sein Freund dann in Sicherheit wäre, außerdem hatte es den Vorteil, dass Zeitoun sein Zelt nicht länger würde teilen müssen. Nasser stieg ins Kanu, und sie fuhren los.
Sie paddelten zum Parkplatz des Postgebäudes. Sie waren gemeinsam bestimmt ein halbes Dutzend Mal dort vorbeigekommen, und immer hatte Zeitoun Nasser gefragt, ob er die Stadt nicht lieber verlassen wolle, aber er hatte stets verneint.
»Da wartet dein Taxi«, sagte Zeitoun und deutete auf einen orangefarbenen Hubschrauber, der in einiger Entfernung auf dem Parkplatz stand.
Aber als sie näher kamen, merkten sie, dass mit dem Hubschrauber irgendetwas nicht stimmte. Er lag auf der Seite.
»Oh nein«, entfuhr es Nasser.
Der Rotor war gebrochen, der Rasen ringsum schwarz verkohlt.
»Er ist abgestürzt«, sagte Zeitoun schockiert.
»Er ist abgestürzt«, wiederholte Nasser im Flüsterton.
Sie ließen sich auf den Helikopter zutreiben. Es war niemand in der Nähe, nichts deutete darauf hin, dass es Verletzte gegeben hatte. Sie sahen keinen Rauch, keinen Rettungstrupp. Der Unfall musste sich am Vortag ereignet haben. Jetzt war nur noch ein orangefarbener Metallberg übrig. An diesem Tag würde Nasser nicht ausgeflogen werden.
Benommen kehrten sie zum Claiborne-Haus zurück. Zeitoun rief Kathy an. Er war unschlüssig, ob er ihr von dem Hubschrauber erzählen sollte. Er wusste, das würde ihr Angst machen, also entschied er sich dagegen.
»Hast du die Kinder schon in der Schule angemeldet?«
Kathy sagte, sie wäre dabei, aber es gäbe Schwierigkeiten.
Zeitoun atmete geräuschvoll aus.
»Du kommst mir vor wie der Mann, der sein Kamel verloren hat und nach dem Seil sucht«, sagte sie. Das war einer seiner Lieblingssprüche, und sie setzte ihn gern gegen ihn ein. Er sagte das oft, wenn er meinte, Kathy konzentriere sich auf unbedeutende Details und übersehe das eigentliche Problem.
Er fand das nicht lustig.
»Ach, komm schon, Schatz«, sagte sie.
Die Schulfrage war für Kathy zurzeit nicht vorrangig. In der Nacht zuvor und den ganzen Vormittag über war sie fest entschlossen gewesen, ihren Mann endlich zum Verlassen der Stadt zu bewegen. Bürgermeister Nagin hatte für alle noch verbliebenen Bürger die Zwangsevakuierung angeordnet.
»Zwangsevakuierung«, wiederholte sie.
Die zuständigen Behörden waren in Sorge wegen der Verbreitung von E. coli, wodurch es zum Ausbruch von Typhus, Cholera oder Ruhr kommen könnte. Die unhygienischen Lebensbedingungen bedrohten die Gesundheit aller, die noch in der Stadt waren.
»Ich trinke nichts von dem Wasser«, sagte er.
»Und was ist mit dem Giftmüll?«, fragte sie. »Du weißt doch, was für einen Mist sie da verbuddelt haben.« Sie rief ihm in Erinnerung, dass Teile der Stadt auf Deponien gebaut worden waren, die Arsen, Blei, Quecksilber, Barium und andere Karzinogene enthielten. »Was, wenn das Zeug jetzt hochgespült wird?«
Zeitoun wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
»Ich pass schon auf«, sagte er.
Dass er tatsächlich daran dachte, die Stadt zu verlassen, verschwieg er. Alles wurde schwieriger, und es gab immer weniger für ihn zu tun. Es waren kaum noch Menschen in der Stadt, und noch weniger brauchten Hilfe. Eigentlich hielt ihn nur noch der Gedanke, nach seinen Häusern sehen zu wollen, und natürlich die Hunde. Wer sollte die Hunde füttern, wenn er nicht mehr da war? Einstweilen sagte er Kathy nur, dass alles in Ordnung wäre, dass er vorsichtig sein würde. Dass er sie liebte und in ein paar Stunden wieder anrufen würde.
Er fuhr auf eigene Faust wieder los und begegnete kurz darauf an der Canal Street Ecke Scott Street einem kleinen Boot. Es war ein Militärfahrzeug mit drei Männern an Bord: einem Soldaten, einem Mann mit einer Videokamera und einem mit Mikrofon und Notizbuch. Sie winkten Zeitoun heran, und einer der Männer stellte sich als Reporter vor.
»Was machen Sie hier?«,
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