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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Gefangenenlager in der Bucht von Guantánamo gesehen hatte. Hier wie dort gab es ein riesiges Drahtzaungehege, praktisch ohne Zwischenwände, sodass die Gefangenen sowohl von den Wachleuten als auch von den Mitgefangenen gesehen werden konnten. Wie in Guantánamo war das Gehege unter freiem Himmel, und es schien nirgendwo Sitz- oder Schlafmöglichkeiten zu geben. Es gab nur Käfige und den Asphalt darunter.
    Der Käfig von Zeitoun und Todd war etwa zwanzig Quadratmeter groß und leer bis auf eine türlose mobile Toilettenkabine. Der einzige andere Gegenstand in dem Käfig war eine Stahlstange in Form eines umgedrehten Us, die wie ein Fahrradständer in den Asphalt einzementiert war. Sie diente normalerweise als Anhaltspunkt für die Busse, die hier parkten, und für Fahrgäste, die sich anstellen wollten. Sie war etwa 75 Zentimeter hoch und einen Meter breit.
    Gegenüber von Zeitouns Käfig befand sich ein zweigeschossiges Gebäude, wohl ein Amtrak-Bürogebäude, in dem sich jetzt Soldaten aufhielten. Zwei Soldaten standen auf dem Dach. Sie waren mit M-16-Gewehren bewaffnet und starrten zu Zeitoun und Todd herunter.
    Todd war außer sich. Er blickte wild um sich und protestierte lautstark. Aber die Wachen konnten ihn kaum verstehen. Selbst Zeitoun, der doch genau neben ihm stand, hörte bloß undeutliche Bruchstücke. Erst jetzt wurde Zeitoun bewusst, dass ein Geräusch, ein wuchtiges mechanisches Dröhnen, die Luft um sie herum erfüllte. Es war so stetig und gleichmäßig, dass er es zunächst gar nicht wahrgenommen hatte.
    Zeitoun wandte sich um und sah, woher das Geräusch kam. Die Rückseite ihres Käfigs reichte fast bis an die Gleise, und auf den Gleisen direkt hinter ihnen stand eine Lok. Die Dieselmaschine lief auf vollen Touren, und Zeitoun begriff sofort, dass sie den Bahnhof und das improvisierte Gefängnis mit Strom versorgte. Er sah zu der monströsen grauen Maschine hoch, die mindestens hundert Tonnen wog und ein kleines rot-weiß-blaues Logo trug, und er wusste, sie würde bei ihnen bleiben, laut und unaufhörlich, solange sie hier festgehalten wurden.
    Ein Wachposten wurde ihnen zugeteilt. Er setzte sich drei Meter vom Käfig entfernt auf einen Klappstuhl und starrte Zeitoun und Todd an, neugierig und verächtlich zugleich.
    Zeitoun wollte unbedingt telefonieren. Er griff durch den Maschendrahtzaun, um einen Officer, den er in der Nähe des Hintereingangs zum Bahnhof stehen sah, auf sich aufmerksam zu machen. Todd tat es ihm nach und wurde sofort von der Wache zurechtgewiesen.
    »Finger weg vom Zaun!«, blaffte die Wache.
    »Finger weg vom Zaun? Soll das ein Witz sein?«, fragte Todd.
    Aber der Soldat meinte es todernst. »Wenn du den Zaun noch einmal anfasst, mach ich dich fertig.«
    Todd fragte, wo sie sich denn bitte schön hinstellen sollten. Er bekam zu hören, dass sie in der Mitte des Käfigs stehen könnten. Sie könnten sich auf die Stahlstange setzen. Sie könnten sich auf den Asphaltboden setzen. Aber wenn sie den Zaun noch einmal anfassten, würden sie was erleben.
    Es gab noch rund ein Dutzend andere Wachen, die auf dem Gelände hinter dem Bahnhof herumliefen. Einer ging an ihnen vorbei, gezogen von einem Deutschen Schäferhund. Er blieb bedeutungsvoll neben ihrem Käfig stehen und warf Zeitoun und Todd einen warnenden Blick zu, ehe er weiterging.
    Zeitoun konnte kaum stehen. Ihm tat der Fuß weh, ein stechender Schmerz, den er bislang ignoriert hatte. Er zog den Schuh aus und stellte fest, dass sein Spann verfärbt war. Irgendetwas steckte unter der Haut – wohl ein Metallsplitter, dachte er, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wo oder wann er sich den eingefangen hatte. Der Bereich war in der Mitte lila angelaufen und weiß umrändert. Er musste den Splitter herausholen, und zwar schnell, sonst würde es schlimmer werden.
    Zeitoun und Todd setzten sich abwechselnd auf die Stange. Sie war nicht breit genug für zwei, also wechselten sie sich alle zehn Minuten ab.
    Nach einer Stunde flog die Tür zum Bahnhof auf. Nasser und Ronnie kamen heraus, eskortiert von drei Polizisten. Zeitouns und Todds Käfig wurde geöffnet, und Nasser und Ronnie wurden hineingestoßen. Der Käfig wurde verschlossen. Die vier Männer waren wieder vereint.
    Unter dem Dröhnen der Lok erzählten sich die Männer, was ihnen bislang widerfahren war. Alle vier hatten eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen müssen. Nur Todd hatte man gesagt, weswegen sie hier festgehalten wurden – Besitz von Diebesgut

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