Zeitoun (German Edition)
Sklaven, Einwanderer –, und ganz in der Nähe waren immer diejenigen, die nach Vorstellung des Künstlers die Verantwortung trugen: reiche Aristokraten mit gepuderten Perücken, Generäle in blitzenden Uniformen, Geschäftsleute mit Säcken voller Geld. In einem Segment standen Ölbohrtürme in einer überfluteten Landschaft, einer Stadt, die vom Wasser verschlungen wurde.
Nasser wurde als Nächster vernommen. Auch er wurde zu dem Amtrak-Fahrkartenschalter gebracht, und jetzt sah Zeitoun, dass von jedem von ihnen Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht wurden.
Gleich zu Anfang von Nassers Vernehmung sorgte seine Reisetasche für Aufregung. Eine Beamtin holte stapelweise US-Geld aus der Tasche.
»Das ist nicht Ihrs«, sagte sie.
Nasser widersprach ihr, aber diese Entdeckung versetzte die Halle nur noch mehr in Aufregung.
»Das ist niemals Ihrs«, sagte sie mit größerem Nachdruck.
Das Geld wurde auf einen Tisch in der Nähe gelegt, und gleich darauf drängte sich eine Menschenmenge drum herum. Irgendjemand zählte es. Zehntausend Dollar.
Das war das erste Mal, dass Zeitoun etwas über den Inhalt von Nassers Tasche erfuhr. Als Nasser sie mit ins Kanu genommen hatte, war Zeitoun davon ausgegangen, dass sie Kleidung enthielt, ein paar Wertgegenstände. Er wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass sich in der Tasche 10 000 Dollar in bar befanden.
Es gab weitere Entdeckungen. Todd hatte 2400 Dollar bei sich. Die Polizisten legten das Geld gestapelt auf den Tisch neben Nassers. In Todds Taschen fanden sie außerdem Straßenkarten, die er sich bei MapQuest ausgedruckt hatte.
»Ich liefere wiedergefundene Gepäckstücke aus«, versuchte Todd zu erklären.
Das stellte die Beamten nicht zufrieden.
In einer von Todds Taschen entdeckten sie eine kleine Speicherkarte, wie sie in Digitalkameras benutzt wurde. Todd lachte, erklärte, dass da nur Fotos drauf wären, die er von den Flutschäden aufgenommen hatte. Aber die Beamten sahen mehr darin.
Zeitoun ließ die Schultern hängen, als er sah, wie sich immer mehr Beweismittel auf dem Tisch ansammelten. Die meisten Verwaltungssysteme der Stadt waren funktionsunfähig. Im Bahnhof waren weder Anwälte noch Richter. Alleine würden sie hier nicht rauskommen. Die Polizisten und Soldaten in der Halle waren zu aufgedreht und die Beweislage zu verblüffend. Zeitoun machte sich auf eine lange Wartezeit gefasst.
Todd regte sich zunehmend auf. Zwischendurch beruhigte er sich für ein Weilchen, verlor aber immer wieder die Beherrschung. Schließlich hob einer der Soldaten den Arm, als wollte er ihm mit dem Handrücken einen Schlag verpassen. Todd wurde still.
Dann kam Zeitoun an die Reihe. Man führte ihn zu dem Amtrak-Schalter und nahm seine Fingerabdrücke. Er wurde vor eine Wand gestellt, auf der mit der Hand Körpergrößenmarkierungen eingezeichnet worden waren, von einem Meter fünfzig bis zwei Meter zehn. An genau derselben Stelle hatte Zeitoun früher gewartet, wenn er anstand, um Zugfahrkarten für Freunde oder Mitarbeiter zu kaufen. Jetzt trug er Handschellen und wurde von zwei Soldaten mit M-16-Sturmgewehren bewacht, während ein Foto von ihm gemacht wurde.
Am Fahrkartenschalter gab er sein Portemonnaie ab und wurde durchsucht. Man stellte ihm die wesentlichen Fragen: Name, Adresse, Beruf, Herkunftsland. Man erklärte ihm nicht, was ihm zur Last gelegt wurde.
Schließlich wurde er zu der Stuhlreihe zurückgebracht und wieder neben Todd und Nasser gesetzt, während Ronnie vernommen wurde.
Kurz darauf fasste jemand Zeitoun grob unter dem Arm. »Aufstehen«, sagte ein Soldat.
Zeitoun stand auf und wurde von drei Soldaten in einen kleinen Raum geführt – eine Art Abstellkammer mit einem Klapptisch darin. Die Wände waren kahl.
Die Tür schloss sich hinter ihm. Er war mit zwei Soldaten allein.
»Ausziehen«, sagte einer.
»Hier?«, fragte er.
Der Soldat nickte.
Bis zu diesem Punkt war Zeitoun noch keine Straftat zur Last gelegt worden. Man hatte ihn nicht über seine Rechte aufgeklärt. Er wusste nicht, warum er festgehalten wurde. Jetzt war er in einem kleinen weißen Zimmer und wurde von zwei Soldaten in Tarnanzügen und mit Automatikgewehren aufgefordert, sich auszuziehen.
»Sofort!«, bellte einer der Soldaten.
Zeitoun zog T-Shirt und Shorts aus und schlüpfte dann nach kurzem Zögern aus seinen Sandalen.
»Auch die Unterhose«, sagte derselbe Soldat.
Zeitoun zögerte. Wenn er das machte, würde er immer damit leben müssen. Die Schande
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