Zeitoun (German Edition)
war das Einzige, das ihnen zur Last gelegt wurde –, und keiner von ihnen war über seine Rechte aufgeklärt worden. Keinem war erlaubt worden, jemanden anzurufen.
Nasser hatte versucht zu erklären, wieso er so viel Bargeld bei sich hatte. Die Polizisten und Soldaten waren in der Stadt, um gegen die ausufernden Plündereien vorzugehen, von denen alle gehört hatten. Da auch Nasser wegen der Plünderer beunruhigt war, hatte er beschlossen, all sein Geld, seine gesamten Ersparnisse, mitzunehmen.
Die Männer, die ihn befragten, glaubten ihm nicht. Nasser hatte erfolglos versucht, ihnen zu erklären, dass zahllose Immigranten ihr Geld in bar aufbewahrten, dass sie den Banken nicht trauten. Er erklärte, jemand wie er führe sein Geld vor allem deshalb bar bei sich, weil das – wenn auch geringe – Risiko bestand, dass er aufgegriffen, verhört und festgehalten oder abgeschoben wurde. Bargeld konnte er verstecken, behalten, dafür sorgen, dass es ihm nachgeschickt wurde, falls er des Landes verwiesen wurde.
Die vier Männer wussten nicht, was mit ihnen passieren würde, aber sie wussten, dass sie die Nacht in diesem Käfig verbringen würden.
Die syrischen Namen Zeitoun und Dayoob, ihr arabischer Akzent, die zehntausend Dollar in bar, Todds Bargeld und die Straßenkarten von MapQuest – das alles zusammen ergab so viele Verdachtsmomente, dass ihre missliche Lage kein baldiges Ende finden würde, so viel war ihnen allen klar.
»Freunde, wir sind im Eimer«, sagte Todd.
Die Männer hatten im Käfig nur wenige Möglichkeiten: Sie konnten in der Mitte stehen, sie konnten sich auf den Asphalt setzen, und sie konnten sich gegen die Stahlstange lehnen. Keiner wollte auf dem Boden sitzen. Der Asphalt war mit Dreck und Öl verschmiert. Sobald sie sich dem Zaun auch nur näherten, brüllten die Wachen Obszönitäten und drohten ihnen Strafen an.
Während der ersten Stunden im Käfig war es Zeitouns vorrangiges Ziel, telefonieren zu dürfen. Alle vier hatten diese Bitte wiederholt geäußert, während sie vernommen wurden, und man hatte ihnen gesagt, es gebe keine funktionierenden Telefone.
Das schien tatsächlich der Fall zu sein. Sie sahen niemanden, der per Handy oder Festnetzapparat telefonierte. Es ging das Gerücht um, dass Satellitentelefone funktionierten und dass es oben in den Büroräumen des Bahnhofs ein Telefon gab, das mit einer Faxleitung verbunden war.
Jedes Mal, wenn eine Wache vorbeikam, bettelten sie darum, das Faxtelefon oder überhaupt ein Telefon benutzen zu dürfen. Das wurde bestenfalls mit Achselzucken und ausweichenden Antworten quittiert.
»Die Telefone funktionieren nicht«, sagte ein Wachmann zu ihnen. »Ihr seid Terroristen. Ihr seid Taliban.«
Das Tageslicht wurde schwächer. Die Vernehmung und Durchsuchung der vier Männer hatte drei Stunden gedauert, und seit drei weiteren Stunden waren sie in dem Käfig. Sie bekamen jeder eine kleine Pappschachtel mit dem Aufdruck BARBECUE PORK RIB. Darin waren ein Plastikbesteck, eine Packung Schmierkäse, zwei Kräcker, ein Päckchen mit Orangensaftpulver und eine Portion Schweinerippchen. Es waren verzehrfertige militärische Feldrationen.
Zeitoun erklärte der Wache, dass er und Nasser Muslime seien und kein Schweinefleisch essen könnten.
Der Mann zuckte die Achseln. »Dann lasst es bleiben.«
Zeitoun und Nasser aßen die Kräcker und den Käse; den Rest gaben sie Todd und Ronnie.
Je dunkler es wurde, desto lauter schien das Geräusch hinter ihnen zu werden. Zeitoun war müde, aber er wusste, dass die Maschine sie alle am Schlafen hindern würde. Er hatte früher auf Schiffen gearbeitet, auch in Maschinenräumen, aber die Lok hier war noch lauter, lauter als alles, was er je gehört hatte. Im gleißenden Flutlicht erinnerte sie an einen großen Hochofen, brüllend und raubgierig.
»Wir können beten«, sagte Zeitoun zu Nasser.
Er fing Nassers Blick auf und wusste, was er dachte. Sie wollten beten, waren angehalten, es fünfmal am Tag zu tun, aber Nasser war nervös. Würde das nur noch mehr Verdacht erregen? Würde man sie verspotten oder gar bestrafen, weil sie zu Gott beteten?
Zeitoun sah keinen Grund, es nicht zu tun, selbst wenn man ihn in einem Freiluftkäfig festhielt. »Wir müssen«, sagte er. Gerade jetzt, so fand er, mussten sie noch öfter und mit großer Inbrunst beten.
»Was ist mit Wudu’?«, fragte Nasser.
Der Koran schrieb vor, sich vor dem Gebet zu waschen, und dazu hatten sie hier nicht die Möglichkeit. Doch Zeitoun
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