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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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gesamte Material zum Bahnhof zu befördern, waren bestimmt sechs Tieflader erforderlich gewesen. Er sah keine Gabelstapler oder schweres Gerät; die Käfige waren anscheinend von Hand gebaut worden. Es war eine beeindruckende Leistung, ein solches Projekt so kurz nach dem Sturm aus dem Boden zu stampfen. Aber wann hatten sie das gemacht?
    Zeitoun war am 6. September zum Bahnhof gebracht worden, siebeneinhalb Tage nachdem der Hurrikan durch die Stadt gefegt war. Selbst unter idealen Bedingungen hätte der Bau eines solchen Gefängnisses vier bis fünf Tage gedauert. Das bedeutete, dass irgendwelche Beamte, schon einen Tag nachdem das Auge des Sturms über das Gebiet hinweggezogen war, den Bau eines improvisierten Freiluftgefängnisses geplant hatten. Der Maschendraht und der Stacheldraht mussten irgendwo aufgetrieben oder bestellt worden sein. Toiletten, Flutlichtlampen und die gesamte sonstige Ausrüstung mussten ausgeliehen oder angefordert worden sein.
    Dazu war ein enormes Maß an Planung und Organisation erforderlich. Ein normales Bauunternehmen hätte für den Auftrag Wochen gebraucht, und es hätte schweres Gerät eingesetzt. Ohne solche Maschinen würde man Dutzende Arbeitskräfte brauchen. Um das alles in der kurzen Zeit zu bewerkstelligen, waren bestimmt fünfzig Männer nötig gewesen. Vielleicht sogar noch mehr. Und wo waren die Männer? Wer hatte diese Arbeit erledigt? Gab es Bauunternehmen und Arbeiter, die wenige Tage nach dem Hurrikan rund um die Uhr an einem Gefängnis gearbeitet hatten? Es war unglaublich. Und das umso mehr, als während der Bauzeit, also am 2., 3. und 4. September, noch Tausende Einwohner von Dächern geholt und lebendig oder tot auf Dachböden aufgefunden wurden.
    Gegen Mittag hörte Zeitoun etwas Seltsames: das Geräusch von Bussen am Busbahnhof. Er blickte auf und sah einen Schulbus am hinteren Ende des Parkplatzes, aus dem dreißig oder noch mehr Gefangene in orangefarbenen Overalls stiegen. Auch eine Frau war dabei.
    Es waren Häftlinge aus den Gefängnissen von Jefferson Parish und Kenner – Leute, die schon vor dem Sturm inhaftiert gewesen waren. Binnen einer Stunde füllte sich die lange Reihe von Käfigen. Und wieder konnten alle Gefangenen aus allen Richtungen von jedermann gesehen werden, genau wie in Guantánamo. Jetzt, wo die orangefarbenen Overalls das Bild vervollständigten, war die Ähnlichkeit unübersehbar.
    Jedes Mal, wenn eine Gruppe Gefangener in einen Käfig gesperrt worden war, wurden sie davor gewarnt, den Zaun zu berühren. Jedwede Berührung des Zaunes würde ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Und so lernten sie die seltsamen Regeln ihrer Haft kennen: Der Asphalt würde ihr Bett sein, das türlose Toilettenhäuschen ihr Bad und die Stahlstange der Sitz, den sie sich teilen durften. Aber im Laufe der ersten Stunde, während die neuen Häftlinge sich mit ihren Zellen vertraut machten, brüllten die Wachen am laufenden Band Anweisungen, wo und wie man zu stehen und zu sitzen hatte, was man nicht anfassen durfte.
    Ein Mann und eine Frau wurden zwei Käfige von Zeitoun entfernt untergebracht, und schon bald kam das Gerücht auf, dass der Mann ein Heckenschütze sei, dass er es gewesen sei, der die Hubschrauber beschossen hatte, die auf dem Dach eines Krankenhauses zu landen versucht hatten.
    Das Mittagessen war anders als die bisherigen Mahlzeiten. Diesmal brachten die Wachen Schinkensandwiches an die Käfige und quetschten sie durch den Maschendraht.
    Wieder aßen Zeitoun und Nasser nicht.
    Die Hunde waren allgegenwärtig. Ständig waren mindestens zwei von ihnen zu sehen, und sie wurden bewusst möglichst dicht an den Käfigen vorbeigeführt. Dann und wann bellte einer wild einen Gefangenen an. Jemand in Zeitouns Käfig erwähnte Abu Ghraib und überlegte laut, an welchem Punkt man sie wohl zwingen würde, nackt als menschliche Pyramide zu posieren, und welcher Wachmann sich grinsend ins Bild lehnen würde.
    Um zwei Uhr waren rund fünfzig Gefangene am Busbahnhof angekommen, aber Zeitouns Käfig war noch immer der einzige mit einem eigenen diensteifrigen Wachposten.
    »Glaubt ihr wirklich, die halten uns für Terroristen?«, fragte Nasser.
    Todd verdrehte die Augen. »Wieso hocken wir denn wohl sonst allein hier in der Zelle, während alle anderen zusammengepfercht werden? Wir sind hier die dicken Fische. Wir sind der große Fang.«
    Im Laufe des Tages wurde ein halbes Dutzend weiterer Gefangener aus dem Bahnhof zu den Käfigen gebracht. Diese Männer

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