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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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trugen Zivilkleidung. Sie waren offensichtlich nach dem Sturm aufgegriffen worden, so wie Zeitoun und seine Gefährten. Jetzt war das System klar: Diejenigen, die aus anderen Gefängnissen hergebracht wurden, kamen mit Bussen und wurden direkt in die Käfige gesteckt. Diejenigen, die nach dem Sturm verhaftet worden waren, wurden erst drinnen vernommen und durchsucht und dann durch die Hintertür nach draußen gebracht.
    Aus Bemerkungen der Wachmänner und Gesprächen zwischen den Gefangenen erfuhr Zeitoun, dass das Gefängnis von den Wachen und Soldaten mindestens zwei Spitznamen verpasst bekommen hatte. Einige nannten es Angola South, doch die weitaus meisten nannten es Camp Greyhound.
    Am Nachmittag sprach einer der Wachleute einen Mann in Zeitouns Nachbarkäfig an. Er unterhielt sich einen Moment mit dem orange gekleideten Gefangenen, gab ihm eine Zigarette und ging zurück in den Busbahnhof.
    Augenblicke später kam der Wachmann zurück und brachte ein kleines Fernsehteam mit, das er schnurstracks zu dem Mann führte, dem er die Zigarette gegeben hatte. Der Reporter – Zeitoun sah, dass das Team aus Spanien war – interviewte den Gefangenen, und nach einigen Minuten wandte er sich mit dem Mikrofon Zeitoun zu, um ihm eine Frage zu stellen.
    »Nein!«, rief der Wachmann. »Der nicht.«
    Das Team wurde zurück in den Bahnhof geführt.
    »Scheiße«, sagte Todd. »Die haben den Typen bestochen.«
    Im Weggehen schwenkte der Kameramann sein Objektiv einmal über das gesamte Freiluftgefängnis, Zeitoun eingeschlossen. An der Kamera war eine grelle Lampe befestigt, und so gesehen zu werden, im gleißenden Licht eines Scheinwerfers, der ganzen Welt als Verbrecher in einem Käfig präsentiert zu werden, machte Zeitoun wütend. Es war eine Lüge.
    Aber plötzlich hatte er die jähe Hoffnung, dass der Beitrag des spanischen Fernsehteams vielleicht auch in Málaga gesendet wurde. Dann würde Ahmad ihn sehen – er sah alles –, und er würde es Kathy erzählen, und Kathy würde wissen, wo er war.
    Andererseits fand Zeitoun den Gedanken unerträglich, dass seine Familie in Syrien erfuhr, wie er hier festgehalten wurde. Ganz gleich, was geschah, ob und wann er freigelassen wurde, sie durften nicht wissen, dass ihm das widerfahren war. Er gehörte nicht hierher. Das war er nicht. Er war in einem Käfig, wurde beobachtet, begafft, so angesehen, wie Zoobesucher sich exotische Tiere ansehen – Kängurus und Paviane. Die Schande war größer, als seine Familie sich das je vorstellen konnte.
    Am späten Nachmittag wurde ein neuer Gefangener aus dem Bahnhof geführt. Er war weiß, um die fünfzig, dünn und mittelgroß, mit dunklem Haar und sonnengebräunter Haut. Zeitoun beachtete ihn kaum, bis sein eigener Käfig geöffnet und der Mann hineingestoßen wurde. Jetzt waren fünf Gefangene in ihrem Käfig. Keiner wusste, warum.
    Der Mann trug Jeans und ein kurzärmeliges Hemd, und er schien es während des Sturms und danach irgendwie geschafft zu haben, sauber zu bleiben. Hände, Gesicht und Kleidung waren ohne jeden Fleck. Und auch seine Einstellung ließ nicht mal ansatzweise die Leiden der Stadt in ihrer Gesamtheit erahnen.
    Er stellte sich Zeitoun und den anderen als Jerry vor und schüttelte allen leutselig die Hand. Er war vergnügt, strotzte vor Energie und machte Witze über seine missliche Lage. Die vier Männer waren nach ihrer schlaflosen Nacht in dem Freiluftkäfig nicht mehr sonderlich gesprächig, aber dieser neue Gefangene machte ihr Schweigen mehr als wett.
    Er lachte über seine eigenen Scherze und über die bizarre Situation, in der sie sich befanden. Unaufgefordert erzählte Jerry, wie es zu seiner Festnahme gekommen war. Er war während des Sturms in der Stadt geblieben, so wie bei jedem Hurrikan. Er wollte auf sein Haus aufpassen, und nachdem Katrina weitergezogen war, stellte er fest, dass er Lebensmittel brauchte und keinen Laden in der Nähe erreichen konnte. Sein Auto stand auf einer Anhöhe und war unbeschädigt, aber er hatte kein Benzin mehr. Also suchte er sich in seiner Garage einen Schlauch und war gerade dabei, Benzin aus dem Auto seines Nachbarn abzuzapfen – er wollte es seinem Nachbarn erzählen, und der hätte sicherlich nichts dagegen gehabt, sagte er –, als er von einem Flachboot der Nationalgarde entdeckt und wegen Diebstahls verhaftet wurde. Es war schlicht und ergreifend ein Missverständnis, sagte er, das sich bestimmt rasch aufklären würde.
    Zeitoun fand, dass an Jerrys Auftauchen

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