Zeitreisende sterben nie
können. Aber davon abgesehen, ja, ich bin hier durchaus zufrieden.«
»Dad...«
»Adrian, ich lebe hier an der Grenze des Zeitalters der Aufklärung. Und ich kenne die Darsteller in diesem Stück.«
»Die Darsteller kennt man doch immer.«
»Nein, das tut man nicht. Üblicherweise braucht es mehrere Generationen, bis man herausfindet, wer sie sind.
Zeitgenossen kennen nur die Autoritätspersonen und die Maulhelden. Und die Leute, die in Machtpositionen geboren werden. Aber um herauszufinden, wer wirklich die Last trägt, braucht man einen anderen Blickwinkel.
Hier hat niemand eine Ahnung, wer Johannes Kepler ist. Und über Galileo wissen die Leute nur, dass er Lehrer ist und sich Ärger mit der Inquisition eingefangen hat. Ich bezweifle, dass hier schon irgendjemand von Francis Bacon gehört hat. Selbst in Britannien ist er weitgehend unbekannt. Er ist nur irgendein Typ mit einem komischen Namen.«
»Wie hast du dich hier durchgeschlagen?«, fragte Shel.
»Am Anfang habe ich mich als Feldarbeiter verdingt. In Werkstätten gearbeitet. War sogar Kellner. Als ich hierhergekommen bin, hat Santo Pietro mich aufgenommen. Irgendwann habe ich dann ein Unternehmen zur Förderung der Besteckbenutzung gegründet.«
»Du machst Witze.«
»Vor zwanzigjahren hat es hier kein Besteck gegeben. Die Leute haben zum Essen nur Messer und ihre Finger benutzt.« Er lächelte. »Ach, die gute alte Zeit.«
»Und«, sagte Shel, »du bist ins Transportgewerbe eingestiegen.«
»Das weißt du auch? Gut, du hast deine Hausaufgaben gemacht.«
»Dave hat es herausgefunden.«
»Ich verstehe. Aus all dem können wir eine Lehre ziehen.«
»Die lautet?«
»Dass Zeit flexibel ist. Oder haben wir darüber schon mal gesprochen?«
»Das haben wir.«
»Gut. Halt dich von Paradoxien fern. Wenn dir das gelingt, kannst du, wie es scheint, Einfluss auf die Geschichte nehmen. Und ein Teil davon werden.«
»Wie definierst du Paradoxon?«
Er dachte nach. »Ein Paradoxon tritt ein, wenn du den Eintritt eines Geschehens, dass sich bekanntermaßen ereignet hat, unmöglich machst.« Er lachte, eine herzhafte, fröhliche Reaktion. Der Mann war wirklich glücklich.
»Was du tust, wird ein Teil der Geschichte. Deine Rolle darin hat gewissermaßen immer schon existiert. Ich bin in dieser Ära immer schon ein Faktor gewesen. Und ja, ich verdiene mein Geld mit der Entwicklung eines Postkutschennetzes, das die zentralitalienischen Städte miteinander verbindet. Was du vermeiden solltest, ist, deinen zehn Jahre alten Großvater zu erschießen.« Shel und Dave konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Das ist mein Ernst«, sagte er. »Meide das Irreparable.«
Michael bemerkte, seine Gäste müssten hungrig sein, aber das waren sie nicht, also ließ er Albertino lediglich etwas Wein servieren. »Ich kann mir die Frage nicht verkneifen«, sagte er schließlich. »Wo wart ihr sonst noch?«
Sie verbrachten die Nacht bei Michael. Die Betten waren weich, und Shel war überrascht, sanitäre Anlagen einschließlich Wasserklosett und Dusche vorzufinden. »Die sind hier recht verbreitet«, klärte Michael ihn am Morgen auf.
»Du könntest eine Klimaanlage brauchen.«
Michael sah sich zu Dave um, der eifrig damit beschäftigt war, woanders hinzuschauen. »Du bist völlig verdorben.«
»Ich weiß.« Shel lehnte sich zurück. Sie hatten gerade ein stattliches Frühstück, bestehend aus Schinken, Eiern und den größten Toastscheiben, die Shel je gesehen hatte, verspeist. »Dad«, sagte er nun, »ernsthaft, ich möchte nichts mehr über glückliche Zeiten in der Renaissance hören. Die Kavallerie ist hier. Ich möchte, dass du mit uns nach Hause kommst.«
»Das kann ich nicht, mein Sohn.«
»Du hast von einem Zahnarzt gesprochen. Wahrscheinlich könntest du so oder so eine ärztliche Untersuchung brauchen. Auf jeden Fall kannst du nicht hier bleiben.«
»Warum nicht?«
»Weil du nicht hierher gehörst.«
»Du hast gesagt, du hast irgendwo mein Grab gesehen.«
»Das ist noch ein Grund, warum wir dich hier wegholen wollen.«
»Wenn ich mit euch zurückgehe ...« »Ja?«
»Wer liegt in dem Grab?«
»Keine Ahnung. Ist das wichtig?«
»Du wolltest, dass ich dir die Paradoxien erkläre. Ich bin nicht sicher, was passieren würde, würdet ihr versuchen, mich mitzunehmen.« Er schenkte sein Glas nach. »Außerdem will ich nicht mitgehen.«
»Dad...«
»Ich meine es ernst. Mir gefällt es hier. Es mag dir schwerfallen, das zu verstehen, aber hier herrscht
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