Zeitreisende sterben nie
»Du warst -wie lange? - dreißig Jahre hier?«
Die Frage hing in der Luft.
»Und du warst in Alexandria.«
Seine Lippen verzogen sich zu einem wehmütigen Lächeln. »Dort war ich zuerst, gleich nachdem du das Haus verlassen hattest.« Er unterbrach sich. Musste nachdenken. »Oder war ich doch zuerst bei Cicero?«
»Cicero?«
»In der Zeit, in der sie versucht haben, Cäsar zu Fall zu bringen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, die Bibliothek war zuerst dran. Ich habe in dieser Nacht einige Reisen unternommen, ehe ich hierherkam.«
»Dad, ich wünschte, wir hätten gewusst, wo du bist. Wir hätten ...«
»Vergiss es. Ich hatte kein schlechtes Leben.«
»Bestimmt.« Shel sah sich geringschätzig um. Kein elektrischer Strom. Kein Telefon. Kein Fernsehen.
»Schau, mein Sohn, ich freue mich sehr, dich zu sehen. Das weißt du. Und es tut mir leid, wenn ich dir undankbar erscheine.«
»Was ist passiert?«, fragte Shel. »Warum bist du nicht zurückgekommen ?«
»Ich wäre zurückgekommen, wäre ich dazu in der Lage gewesen. Mein Gott, es fühlt sich so seltsam an, dich hier bei mir zu haben.«
»Dad...«
»Du und Dave, ihr könnt doch eine Weile bleiben, oder? Verbringt ein wenig Zeit mit mir. Es gibt so viel zu sehen. Aber wenn du nach Hause ...« »Ja...?«
Michael zögerte. »Wenn du nach Hause gehst, möchte ich, dass du die Geräte auseinandernimmst. Vernichte sie.«
»Du kommst mit mir, Dad.«
»Nein, Adrian. Ich bin hier glücklich.«
»Was?«
»Ich bin schon lange Zeit hier. Dies ist mein Zuhause. Ich habe hier ein gutes Leben. Ein viel besseres als während meiner Arbeit bei Swifton.«
»Dad, das ist verrückt. Dieser Ort ist primitiv.«
»Eigentlich nicht, obwohl du in gewisser Weise recht hast. Die Zivilisation fängt gerade erst richtig an. Aber das geschieht genau hier.«
»Komm schon, Dad. Du redest wie ein Wahnsinniger. Die Wahrheit ist, wir kommen gerade von deinem Grab.«
Das war eine Anklage. Schwere Stille legte sich über den Raum. Michael seufzte. »Tut mir leid, das zu hören. Das ist eine der Versuchungen, die der Konverter mit sich bringt, nicht wahr? Man kann stets auch nach vorn springen und nachsehen, was morgen passiert. Das ist nicht unbedingt von Vorteil.«
»Dad ...«
»Keine Details, bitte.«
»Dad, ich will dich hier rausholen.«
»Es ist ein sonderbares Gefühl, dein Englisch wieder zu sprechen.«
»Warum hast du das getan? Warum bist du geblieben? Du hast mir versprochen, du würdest zurückkommen. Weißt du noch?«
»Ja, das weiß ich noch.«
»Also, was ist passiert.«
»Ein Unfall.«
»Was für ein Unfall? Ist der Konverter kaputtgegangen? Akku leer? Was?«
Er sah müde aus, gerade so, als ermatte es ihn, auch nur daran zu denken. »Adrian, er ist darauf ausgelegt, eine feste Oberfläche zu finden, einigermaßen eben, sodass man sich nicht... was weiß ich, zehn Meter über dem Boden materialisiert.«
»Und...?«
»Als ich herkam, war es Dezember.«
»Du bist wegen der Supernova gekommen.«
»Davon weißt du also?«
»Ja.«
»Sehr schön. Wie auch immer, ich landete auf einem zugefrorenen Teich. Auf der Oberfläche. Ich stand auf dem Eis.«
»Und...«
»Wir sind in Italien, mein Sohn. Da ist das Eis häufig recht dünn. Ich bin durchgebrochen und im Wasser gelandet.
Ich hätte ertrinken können. Jedenfalls ist der Konverter nass geworden. Der Akku hat den Geist aufgegeben. Und seitdem bin ich hier.«
Shel empfand zunehmenden Ärger. Und Furcht. »Also gut, aber jetzt ist es vorbei. Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bleiben willst.«
»Aber das will ich.« Tiefe Überzeugung lag in seinen Worten. »Wie geht es zu Hause? Und wie geht es Jerry?«
»Jerry geht's gut. Es hat sich nichts verändert. Was hast du erwartet? Seit deiner Abreise sind erst ein paar Monate vergangen.«
»Ach, ja, sicher. Manchmal ist es schwer, die Details im Auge zu behalten.«
»Gelinde gesagt.«
»Weiß Jerry Bescheid?«
»Nein.«
»Okay. Belass es dabei.«
»Das belastet ihn sehr, Dad.«
»Ich weiß, aber ich sehe keine Alternative.« Er räusperte sich. »Außerdem haben wir uns so oder so nie so nahe gestanden. Er wird mich nicht vermissen.«
Das Haus sah nicht übel aus. Die Wände schienen mit Walnussholz verkleidet zu sein; das Bücherregal war mit Schnitzereien verziert und auf Hochglanz poliert, die Möbel behaglich. »Du scheinst ganz gut zurechtgekommen zu sein.«
»Das Leben ist gut. Dann und wann hätte ich einen Zahnarzt brauchen
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