Zeitriss: Thriller (German Edition)
wurde. Zu denken, dass eine niedere Konkubine das Herz des mächtigsten Mannes auf Erden gewinnen konnte – wirklich erstaunlich.« Sie musterte Randall aus den Augenwinkeln. »Das ist ein wunderbarer Ort, der es wert ist, geschützt zu werden.«
»Ich bezweifle, dass es nur sein Herz war, das Ihr gewonnen habt«, erwiderte Randall.
Cixi verkniff sich ein Lächeln. »Ich habe viele Talente. Unter anderem meinen Gesang – den er sehr liebt – und meine Unterhaltungskunst, bei der ich mein großes Wissen einbringen kann.« Mit unvermittelter Lebendigkeit sprang sie und drehte sich graziös zur einen, dann zur anderen Seite und bewegte dazu lustvoll die Arme. »Es gefällt ihm auch, wenn ich tanze.«
Randall musste lächeln angesichts ihrer Darbietung und merkte, dass sie viel leichter als erwartet seine Abwehr umging. Es war wichtig, einen klaren Kopf zu behalten, sagte er sich noch einmal. Doch ihre Lebendigkeit und Eleganz fesselten ihn immer mehr.
Cixi vollführte geschmeidige Drehungen, bis sie an seine Seite zurückkehrte. »Und er schätzt meinen Rat«, fuhr sie in ernstem Ton fort.
»Ihr seid sehr vielseitig.«
Die Sonne war gerade hinter den Mauern verschwunden, und der Hof lag in kühlem Dunst. »Ich werde heute Abend für Euch kochen«, sagte Cixi. »Wir sind allein im Palast – das ist nötig, um Eure Anwesenheit geheim zu halten. Das Kochen gehört nicht zu meinen größten Talenten, aber das Mahl wird unserem Bündnis sicher angemessen sein.«
»Die Gefangenen müssen zu Elgins Lager gebracht werden, sobald ihre Wunden verheilt sind«, sagte Randall.
»Die überlebt haben, wurden bereits in eine angemessenere Unterkunft gebracht«, erklärte sie. »Und sie werden von unseren besten Ärzten versorgt. Man hat mir berichtet, dass ihnen die Hände mit nasser Schnur gefesselt wurden, die sich zusammenzieht, wenn sie trocknet. Dadurch sind vielen Finger und Zehen abgestorben. Andere Männer sind an Entzündungen gestorben.«
»Ihr hättet klüger sein und die Gefangenen nicht so behandeln sollen, und das sage ich nicht etwa, weil ich seit meiner Ankunft hier schon so viele Scheußlichkeiten gesehen habe.«
»Mir war davon nichts bekannt«, entgegnete sie ruhig. »Doch wir befinden uns im Krieg, und ein fremdes Heer ist bis zur Hauptstadt vorgedrungen. Da sind solche Dinge zu erwarten.« Sie schwieg für einen Moment, dann sagte sie: »Wenn Ihr nicht gewesen wärt, hätte Senggerinchin die roten Teufel besiegt und das Schicksal der Gefangenen wäre ohne Folgen geblieben.«
Randall blickte in den dämmrigen Himmel auf. »Hätte ich ihm erlaubt zu siegen, wären für Euch und das Reich noch größere Probleme entstanden.«
»Welches könnte größer sein als das, vor dem wir heute stehen?«
»Die Verwaltung des Reiches muss in der Hand der Qing bleiben«, sagte Randall. »Euer Sohn muss Hsien Feng nachfolgen. Wenn Senggerinchin die Schlacht an der Acht-Li-Brücke gewonnen hätte, würde er jetzt zweifellos das Machtvakuum füllen wollen, das die Schwäche Eures Gemahls erzeugt, und den Thron an sich reißen. Und Euch dazu.«
Cixi blieb vor dem Palast stehen und musterte Randall von der Seite. »Woher wisst Ihr das?«
»Auch ich habe viele Talente.«
»Könnt Ihr in die Zukunft sehen?«
»Nein, aber ich kann vieles deuten, das auf sie hinweist. Und eines weiß ich ganz bestimmt: Die Gefangenen müssen möglichst schnell genesen und jede Annehmlichkeit erhalten, damit ihr Hass besänftigt ist, bis sie wieder bei Lord Elgin sind.«
»Das habe ich bereits angeordnet«, sagte Cixi. »Doch wie beschwichtigen wir derweil die roten Teufel und halten sie von einem Angriff ab?«
»Prinz Kung muss ein offizielles Treffen mit Lord Elgin herbeiführen, bei dem die Bedingungen für einen Waffenstillstand ausgehandelt werden. Es darf jedoch nicht nach einer Kapitulation aussehen. Bei der kleinsten Schwäche von seiner Seite werden sie gnadenlos über ihn herfallen, und das Schicksal der Qing-Herrschaft ist besiegelt.«
»Er ist nicht reif für solch eine Aufgabe.«
»Das ist mir bewusst«, bestätigte Randall. »Er ist wie ein Knabe. Darum müsst Ihr hinter einem Vorhang sitzen, den Verhandlungen zuhören und sein Verhalten lenken.«
»Wie viel wisst Ihr über den Prinzen?«
»Ich weiß, dass sich seine Lust auf Männer und Knaben richtet und dass Ihr das geheim haltet.«
»Ihr wisst offenbar vieles«, sagte Cixi und gab sich Mühe, nicht überrascht zu klingen. »Und daher werdet Ihr mir sicher auch
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