Zeitriss: Thriller (German Edition)
Corporation. Er hatte ein ruhiges Gesicht und lange schwarze Haare mit ein paar grauen Strähnen darin. Er war ein hagerer Typ, und seit er die Leitung übernommen hatte, war er noch dünner geworden. »Ich brauche mehr« war ein häufiger Ausspruch von ihm, über den viel gewitzelt wurde. Wilson konnte ihn gut leiden; er war ein guter Kollege, der immer versuchte, das Richtige zu tun.
»Danke, Davin, das freut mich«, sagte Wilson.
»Andre und ich finden es ungeheuer beeindruckend, wie Sie unseren jungen Aufseher auf dem richtigen Kurs halten.« Er zögerte einen Moment. »Barton wäre bestimmt stolz auf Sie.«
Bei der Bemerkung stieg die alte Trauer wieder in Wilson hoch.
»Ich wusste immer, dass er eine ausgezeichnete Menschenkenntnis hatte, und darum kann ich mich heute freuen, dass Sie hier sind«, meinte Davin. »Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was GM und Jasper jetzt mit uns anstellen. Die ganze Geheimhaltung, die durchkreuzten Absichten, die Änderung des Zeitplans. So sollte es eigentlich nicht laufen.«
»Da bin ich anderer Ansicht«, widersprach Wilson. »Barton würde sagen, es ist alles wie gehabt.«
Davin zog die Augenbrauen hoch. »Vielleicht haben Sie recht, Wilson. Vielleicht haben Sie recht.«
»Tun Sie mir einen Gefallen«, bat er ernst. »Wenn das hier alles vorbei ist, sorgen Sie dafür, dass ich aus dem Vertrag entlassen werde. Hier zu sein und zusehen zu müssen, wie andere durch die Zeit geschickt werden, ist mehr, als ich ertragen kann. Ich will ein für alle Mal von hier weg. Ich möchte auch nach vorn blicken, mich um meine Zukunft kümmern. Aber hier klammere ich mich bloß an die Vergangenheit.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort«, sagte Davin. »Wir haben nur noch fünf Tage, um alles zu schaffen. Meine einzige Sorge ist: Wird Randall ausreichend vorbereitet sein?«
»Wird er«, versicherte Wilson. »Nach allem, was ich sehe, hängen mehr Gefahren an einer Verzögerung als an allem anderen. Wenn Sie ihn morgen schon starten lassen könnten, würde ich es tun.«
37.
Peking, China
Verbotene Stadt
Halle der Ahnenverehrung
5. Oktober 1860
Ortszeit: 11.55 Uhr
Unternehmen Esra – Tag 216
Die Sonne war in einen wolkigen Himmel aufgestiegen. Es war der Geburtstag des Kaisers. Wie üblich trat Cixi in der Halle der Ahnenverehrung gleich nach ihrer Morgenmeditation in Erscheinung. Dort waren tausend weiße Kerzen aufgestellt, doch solange die Türen offen standen, verhinderte der starke Nordwind, dass alle gleichzeitig brannten. So eilten in einem fort Eunuchen mit Streichholzschachteln umher, um die Huldigungsflammen neu zu entzünden.
Vier Stunden lang repräsentierten Cixi und Prinz Kung die kaiserliche Familie, indem sie nebeneinander in der großen Halle standen, während Mandarine und Adlige zu Hunderten an ihnen vorbeizogen, um dem Himmlischen Prinzen ihren Respekt zu erweisen. Cixi empfand einen bitteren Zynismus, weil Hsien Feng an seinem eigenen Geburtstag abwesend war. Sie verstand seine Gründe und nahm es ihm dennoch übel, dass er und sein Hofstaat die Verbotene Stadt verlassen hatten wie die Ratten ein sinkendes Schiff.
Von Jehol war eine Nachricht gekommen, wonach seine Gesundheit sich in der kalten Gebirgsluft weiter verschlechtert hatte. Das bestätigte Cixi nur in ihrem Urteil, dass die Entscheidung zur Abreise unklug und der Kaiser schlecht beraten gewesen war. Wenn er stürbe, ehe sie ihn wiedersah, wären ihre Chancen, den Titel der Regentin zu erlangen, gering. Die Ehre würde dann wohl an Su Shun gehen.
Scheinbar endlos schritten die adligen Würdenträger an ihr vorbei und sprachen das »Lob und Preis dem Sohn des Himmels«, dabei war die Angst in ihren Augen unübersehbar. Sie alle wussten, dass das Heer der Invasoren vor der Stadtmauer lagerte. Doch Cixi und Prinz Kung gaben sich unerschütterlich, um das Gesicht des Kaisers zu wahren.
Cixi wandte den Blick von den Vorbeischreitenden ab und sah zu Randall Chen am anderen Ende der Halle, wo die kaiserliche Garde aufmarschiert war. Es wäre nicht klug, ihn in aller Öffentlichkeit an ihrer Seite stehen zu lassen, da seine Augenfarbe zu viel Aufmerksamkeit erregte. So aber hatte sie ihn im Blickfeld, und vor allem konnte er ihr zusehen, wie sie ihren Pflichten nachkam. Die adligen Würdenträger waren gehalten, ausschließlich nach links zu schauen, solange sie die Halle passierten, sodass sie den auffälligen Eunuchen nicht bemerken würden.
Randall taten die Beine weh; er stand schon seit
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