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Zeitriss: Thriller (German Edition)

Zeitriss: Thriller (German Edition)

Titel: Zeitriss: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ride
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würden. Wilson hatte die Botschafter schon auf dieses Angebot vorbereitet und eindringlich gewarnt, darauf einzugehen; sie würden auf offener Straße massakriert werden. Folglich lehnten sie ab.
    Daraufhin erklärte Cixi den acht Großmächten den Krieg. »Mit Tränen in den Augen verkünden wir in den Heiligtümern unserer Ahnen den Ausbruch des Krieges«, hieß es in der kaiserlichen Verlautbarung.
    Fast fünftausend Menschen aus achtzehn Nationen saßen hinter den Mauern des Botschaftsviertels fest: knapp fünfhundert Zivilisten, gut vierhundert Angehörige des Militärs und über viertausend chinesische Christen. Unter den Zivilisten befanden sich 149 Frauen und 79 Kinder. Es gab fünf Brunnen, die ausreichend Wasser hergaben, und Nahrungsmittel, die fürs Erste reichen würden, darunter einen guten Vorrat an Weizen, Mais und Reis, außerdem zahlreiche Pferde, die geschlachtet werden konnten. Munition dagegen würde eventuell knapp werden, denn die acht Gesandtschaften benutzten unterschiedliche Waffen, sodass man sich nicht gegenseitig aushelfen konnte. Sie hatten nur eine Kanone, einen italienischen Einpfünder und drei Maschinengewehre. Dagegen standen dem Feind zahllose russische Geschütze und Tausende chinesischer Raketen zur Verfügung.
    Kaiserin Cixi gebot über 300 000 Soldaten in und um Peking, denn die Boxer waren inzwischen per Dekret den Regierungstruppen angegliedert worden. Sie erhielten seitdem Sold und Verpflegung.
    Nachdem Baron von Ketteler erschossen worden war, griffen die Boxer in Wellen die Haupttore der Gesandtschaften an. Die Verteidiger mussten so schnell hintereinander feuern, dass ihre Läufe glühten und die Schützen sich ernsthafte Verbrennungen zuzogen. Doch die Zahl der Toten außerhalb der Mauer stieg an, Millionen von Schmeißfliegen surrten herum.
    Die erhöhten Punkte des Geländes wurden rund um die Uhr von Soldaten bemannt. Die höchsten Gebäude, einschließlich der Residenz des Botschafters, waren von innen mit Sandsäcken verstärkt worden, und man hatte dort Geschütze in Stellung gebracht. Die Frau des britischen Botschafters und zwei hübsche Töchter, die erst sieben und fünf Jahre alt waren, wurden zu ihrem Schutz in den Keller geschickt.
    Zusammen mit George Morrison war Wilson imstande, Sir Claude, der von den übrigen Botschaftern zum Kommandeur bestimmt worden war, diskret die Hand zu führen, denn sein Landsmann verstand sich darauf, bei anderen Vertrauen zu erzeugen. Zwar hielt er Sir Claude für einen, wie er sich ausdrückte, Mann mit Halbbildung und ohne Verstand, Gedächtnis oder Urteilskraft, meinte aber, dass es bei ihm zum Kommandeur wohl reichen werde.
    Trotz dieser Ansicht gelang ihm ein freundschaftlicher Umgang mit dem Botschafter, der infolgedessen Wilsons Verteidigungsstrategie nicht mehr behinderte. Auf den Straßen und Gassen waren Barrikaden aus Ziegelsteinen errichtet und mit Soldaten besetzt worden, die ihr Bestes taten, um die Boxer aufzuhalten.
    Der Kampf würde pausenlos geführt werden, das wusste Wilson, und selbst er staunte über das Ausmaß. Es hatte den Anschein, als würden die Boxer nicht eher aufhören, bis der letzte Christ und Ausländer in Peking niedergemetzelt und alle Botschaften zerstört wären.

55.
Peking, China
Tatarenstadt
Französische Botschaft
22. Juni 1900
Ortszeit: 8.45 Uhr
    Während der ersten achtundvierzig Stunden griffen die Boxer zu Tausenden an, ohne Rücksicht auf das eigene Leben. Ihre Verluste waren kolossal, doch im Lauf der Nacht konnten sie an Boden gewinnen. Auch die Verluste der Verteidiger stiegen an, hauptsächlich durch den pausenlosen Artilleriebeschuss und die Raketenangriffe. Gott sei Dank war es den Chinesen wegen der engen Straßen nicht möglich, Granaten und Raketen direkt in die Botschaften zu schießen, sodass sie sich zumeist begnügen mussten, auf die Außenmauern zu zielen. Und so schnell, wie sie Löcher hineinschossen, so schnell zogen ihre christlichen Landsleute von innen mit Ziegeln und Mörtel ein neues Mauerstück hoch.
    Wilson stand mit Sir Claude und Morrison auf der Südostmauer der französischen Botschaft und schaute über das Gelände der Italiener, das in Flammen stand. Nach Norden zu sah man eine Feuerwand; dort brannten die Zollgebäude.
    »Wenigstens muss ich keinen Zoll mehr für die Möbel bezahlen, die für mich von Hongkong gekommen sind«, murmelte Morrison. »Welche Erleichterung.«
    Wilson blickte ringsherum zu den Verteidigern; sie wirkten panisch: Erwachsene

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