Zeitriss: Thriller (German Edition)
Andre. »Dafür ist keine Zeit! Es sind nur noch neun Wochen, bis Mr. Chen in die –«
»Neun Wochen sind beträchtlich mehr Zeit, als ich damals hatte.«
Andres Augen wurden schmal. »Nur weil Barton ohne Befugnis handelte.«
»Befugnis hin oder her, unser Unternehmen war von Erfolg gekrönt«, hielt Wilson ihm entgegen.
»Ich werde Davin über Ihr störendes Verhalten informieren«, sagte Andre trotzig. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass das Folgen hat.« Andre wandte sich Randall zu. »Es tut mir leid, Mr. Chen. Wir haben Ihnen wohl einen Mentor gegeben, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist. Diese unbefriedigende Situation werden wir schnellstmöglich ändern.« Andre tippte etwas in seinen Handheld, und der holografische Bildschirm verschwand. Dann stand er abrupt auf und verließ den Raum.
»Das haben Sie nicht gut hingekriegt«, meinte Randall.
»Andre hat keine Ahnung, was hier erforderlich ist.«
»Sehen Sie, er ist sehr intelligent, aber noch sehr jung. GM hat bei seiner Rede auch gesagt, dass nichts perfekt ist, Wilson. Und Sie haben soeben zu Ihrer persönlichen Befriedigung einen Sturm entfacht. Der ist das Letzte, was wir beide jetzt brauchen.«
Der Aufseher, den Wilson vor sich hatte, war ihm in allem überlegen, nur in einem nicht: Er besaß keine Omega-Programmierung, die außer der Selbstheilung auch ein außerordentliches Gedächtnis bescherte.
Zum Ausgleich war Randall jedoch durchtrainiert und ein guter Sportler. Er hatte gute Schulen besucht und ausgezeichnete Abschlüsse erreicht. Seine Kampfkunst war unvergleichlich, was einen zusätzlichen Bonus darstellte. Und was äußerst wichtig war: Randall besaß ein Maß an Klugheit, das seine neunundzwanzig Jahre weit überstieg. Wilson vermutete stark, dass er der nachrichtendienstlichen Abteilung von Enterprise Corporation entstammte. Es ging das Gerücht, wonach GM und Jasper über fünfhundert Bewerber geprüft und dabei eine höchst geheime Bewertung vorgenommen hatten. Da Randall Chinese war, würde er es leichter haben, sich im Reich der Mitte des 19. Jahrhunderts zu bewegen. Gleichzeitig zog das ganz eigene Herausforderungen nach sich, da er mit britischen Militärs umzugehen hatte, die ihn zweifellos äußerst herablassend behandeln würden. Umso wichtiger war seine Schulung in Geschichte. Er würde Lord Elgin konstant mit unanfechtbaren Informationen versorgen müssen.
»Ganz meine Meinung«, sagte Wilson. »Nichts ist perfekt. Mein Auftreten gegenüber Andre zeigt das deutlich.« Wilson überlegte, was Barton in dieser Lage getan hätte. »Sie werden von den Briten und Franzosen massiven Widerspruch ernten«, sagte Wilson. »Es wird schwierig sein, mit Lord Elgin und dem britischen Konsul Harry Parkes umzugehen. Sie müssen lernen, deren Vorurteile an sich abperlen zu lassen. Gerade haben Sie erlebt, wie ich vor Andre zusätzliche Hindernisse aufgebaut habe. Daraus müssen Sie lernen. Sie werden in der Vergangenheit noch größere Frustration erleben. Die Leute werden Ihnen mit Angst, Herablassung und Abscheu begegnen. Sie müssen dastehen wie ein Fels in der Brandung. Für persönliche Empfindlichkeiten ist bei diesem Unternehmen kein Platz. Es geht nur darum, das Ziel zu erreichen, ohne Rücksicht auf persönliche Belange.«
»Ich verstehe«, sagte Randall.
»Morgen werden wir uns das Transportsystem ansehen«, sagte Wilson in versöhnlichem Ton. »Ich werde mit Andre reden, mich entschuldigen und ihm eine Führung abschmeicheln. Das wird ihn glücklich machen und hoffentlich die Wirkung unseres Zusammenstoßes abmildern.«
»Das wäre gut.«
»Bis dahin müssen wir aber mit dem Geschichtsunterricht weitermachen«, sagte Wilson. »Ich möchte, dass Sie die Augen schließen und sich vorstellen, Sie stünden im Schlickwatt nördlich der Wei-Festung. Dreiundzwanzig britische Haubitzen haben die Mauern zwei Tage lang beschossen. Plötzlich geht die Pulverkammer in die Luft. Was tun Sie als Nächstes?«
Randall öffnete die Augen und ließ das verblüffende Blau sehen, das ihn von allen anderen Chinesen unterschied. »Die Briten und Franzosen müssen die Festung gleichzeitig angreifen«, sagte er. »Ich muss sie überzeugen, dass sie jetzt Konkurrenten sind und nur einer von beiden zum Zeichen des Sieges seine Flagge hissen kann. Denn wenn sie konkurrieren, werden sie keine Niederlage in Betracht ziehen.«
Die Antwort war genau richtig.
11.
Taku-Festungen
1.600 Meter östlich von Taku, China
21. August
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