Zeitriss: Thriller (German Edition)
Sonnenschein bringen, da die kühleren Herbstwinde von Sibirien her wehten. Zu Randalls Überraschung waren die Dörfer um Tientsin bereits verlassen. Auf dem Weg nach Nordwesten fanden die Soldaten manchmal halb gegessene Mahlzeiten auf den Tischen der Lehmhütten, die entlang der Straße standen. Auf dem Fluss lagen die verwaisten Dschunken und Lastkähne, von denen viele beiseitegezogen werden mussten, denn Lord Elgin fuhr an Bord des Kanonenbootes HMS Grenada stromaufwärts. Offenbar hatten die abziehenden Tataren die Bauern und Schiffer vor den anrückenden roten Teufel gewarnt und eine hastige Flucht ausgelöst.
Die mit Festungsmauern umgebene Stadt Tientsin war seit zwölfhundert Jahren strategisch bedeutsam für das chinesische Reich. Sie lag nur hundert Kilometer südöstlich von Peking, und hier flossen vier Wasserstraßen zusammen, der Haihe, der Peikiang, der Seiho-Kanal und der Kaiserkanal, auf dem die meisten Nahrungsgüter, Tee und Seide nach Peking sowie ins südlicher gelegene Taku gelangten.
Nun hielten die zehn höchsten Befehlshaber der britischen Streitkräfte nach militärischer Art ein Festessen ab. Sie saßen um ein Lagerfeuer, das mehr Licht als Wärme spenden sollte. Vor einer Stunde war die Sonne hinter den Bergen verschwunden, es war bereits nach neun Uhr. Das prasselnde Feuer wurde von aufgeschichteten weißen Steinen begrenzt. Durch die Nässe des Holzes ächzten und knackten die brennenden Scheite beträchtlich und manchmal fast so laut wie ein Pistolenschuss. Obwohl es ein warmer Abend war, hatte Lord Elgin auf dem Feuer bestanden, und so saßen alle ohne Jacke ein großes Stück davon entfernt. Die meisten rauchten Pfeife oder eine Zigarre. Der Cognac wurde freigebig ausgeschenkt und lockerte die Zungen mit jedem Glas mehr.
»Erfreulich, dass die Qing uns Tientsin übergeben wollen«, bemerkte Lord Elgin überheblich. »Morgen wird noch einmal ein großer Tag sein.«
»Mein alter Freund Hangfu, der Generalgouverneur, wird höchst erfreut sein, mich zu sehen, da bin ich sicher«, meinte Parkes dazu. Die Stimmung war allgemein lebhaft, seit die Taku-Forts die Parlamentärflagge gehisst hatten.
»Wir sind die größte Macht in Asien«, sagte Sir Hope in Randalls Richtung, um diesen Punkt noch einmal hervorzuheben. »Wir hätten das Wei-Fort bekommen, egal wie wir es angegriffen hätten. Unsere Haubitzen sind schlichtweg besser. Die lausigen Qing hatten gegen unsere kampferprobten Soldaten gar keine Chance.«
Randall, der nachdenklich zugesehen hatte, wie die Flammen über die Holzscheite leckten, schaute auf. »Die Selbstüberschätzung ist Ihr einziger wirklicher Gegner«, sagte er, ohne zu überlegen.
»Sie haben uns geraten, den Mongolenprinzen zu fürchten, und nun hat er sich als Feigling erwiesen, Mr. Chen«, widersprach Sir Hope. »Können Sie uns seinen erbärmlichen Rückzug erklären?«
»Wer weiß, welche Pläne er verfolgt«, antwortete Randall. »Ich fürchte, er hat noch nicht alle seine Karten ausgespielt. Zwischen uns und Peking lagern viele Tausend tatarische Reiter. Ihr Anführer läuft nicht vor einem Gefecht davon. Er wartet aus einem bestimmten Grund ab. Und wenn er angreift, wird er das in größerer Zahl tun. Bedenken Sie bitte, dass dieser Feigling, wie Sie ihn nennen, Ihre Truppen in diesem Feldzug schon einmal geschlagen hat. Ich betone es nochmals: Er ist nicht zu unterschätzen.«
»Ach was, er hat Glück gehabt«, meinte Sir Hope spöttisch. »Seine verflixten Gäule kamen in dem grässlichen Matsch dieses gottverlassenen Landes besser zurecht! Er hat Glück gehabt, mehr nicht.« Seine Stimme klang angewidert.
»Sie wollen, dass wir vor Senggerinchin Angst haben, Mr. Chen?«, fragte Elgin und blickte Grant schmunzelnd an, als wäre die Frage an sich schon albern.
»Ich empfehle keine Angst«, widersprach Randall, »lediglich Respekt.«
»Und respektieren werden wir ihn«, behauptete Parkes. »Doch dafür verlangen wir die Kapitulation der Qing. Welche Gegenmacht können sie schon zu bieten haben, wenn sie morgen offiziell verzichten, und das nicht nur auf die Festungen, sondern auch auf Tientsin? Sie haben begriffen, dass unsere Kanonen den ihren überlegen und unsere Männer erfahrener und besser ausgebildet sind. Und sie merken, dass der allmächtige Gott auf unserer Seite steht.«
Im Lager liefen chinesische Diener umher, räumten leere Teller fort und füllten Cognacgläser auf, von denen manche noch mehr als halb voll waren. Randall hob
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