Zeitriss: Thriller (German Edition)
zertrümmerten Möbeln, und Randall fand den Gouverneur mit übel zugerichtetem Gesicht. Hände und Füße hatte man ihm hinter dem Rücken zusammengeschnürt. Er wollte ihn eben losbinden, als er aus der Küche betrunkene Stimmen hörte. Den Finger an die Lippen gelegt, bedeutete er Yu, sich still zu verhalten. Dann zog er sich den Schal von den Schultern und ließ seinen Mantel zu Boden gleiten. Ruhig schlich er in die Küche und sah als Erstes die verstümmelten Leichen dreier Frauen. Am Tisch saßen sechs Chinesen in verschiedenen Stadien der Entkleidung. Ihre abgelegten Kulihemden lagen verstreut herum, dazwischen die Scherben von Gläsern und leere Weinflaschen, und auf dem Tisch ihre blutigen Messer. Der durchdringende Gestank des Todes war überwältigend. Die Männer, der Boden, die Wände, alles war blutbespritzt, nur die Decke hatte nichts abbekommen. Und inmitten der grausigen Szene saßen sie und tranken lachend weiter.
Schnell und geschmeidig packte Randall den Nächsten an der Nase und riss ihm den Kopf zur Seite, sodass das Genick brach, schnappte sich ein Messer vom Tisch, um es dem Nachbarn in die Schläfe zu stoßen, während er zugleich dem Dritten einen Zeigefinger in die Augenhöhle rammte. Auch dieser war auf der Stelle tot. Randalls Vernunft ging im Zorn unter. Diese kantonesischen Plünderer waren der Abschaum der Welt, Kleinkriminelle und Frauenschänder, die die Briten aus den Gefängnissen Hongkongs rekrutiert und denen sie versprochen hatten, sie irgendwann für gute Dienste freizulassen. Dementsprechend wurden sie bei erster Gelegenheit machtbesessen. Städte wie Taku, Tongzhou und Chang Chia-wan bekamen ihre grausamste Seite zu spüren. Frauen und Kinder waren ihnen meist schutzlos ausgeliefert, da die Männer im Heer dienten und die wenigen Daheimgebliebenen niedergemacht waren.
Innerhalb von Sekunden tötete Randall alle sechs Kulis mit mitleidloser Präzision.
Dann betrachtete er die verstümmelten Frauenleichen – ein entsetzlicher Anblick. Er hob einen Kleidungsfetzen auf und wischte sich das Blut von den Händen.
Darauf hat Wilson mich nicht vorbereitet, dachte er.
Im Krieg bekamen die Generäle den Ruhm, die Soldaten töteten für König und Vaterland, und die Unschuldigen ertrugen die Ausbrüche ihres Hasses. Randall sah sich um. Die Geschichte war außer Kontrolle, so viel stand fest. Aber Rache war dennoch süß, fand er.
Seine Tötungsorgie hatte ihm eine gewisse Ruhe verschafft, und so ging er zurück in den Wohnraum, kniete sich neben den Gouverneur und zerschnitt ihm die Fesseln.
»Meine Tochter? Wo ist meine Tochter?«, fragte Yu.
Randall dachte an die Verstümmelten. »Sie ist in das Haus Eurer Väter gegangen«, antwortete er. »Und die Täter haben dafür mit dem Leben bezahlt.«
Zornige Verzweiflung malte sich auf Yus Gesicht ab, die Tränen strömten ihm aus den blutunterlaufenen Augen. »Ihr seid genauso schlimm wie die!«, rief er. »Ihr seid ein blutrünstiger Mörder. Nichts anderes. Ihr habt die Stadt nicht bewacht, und nun wollt Ihr hier als Held auftreten. Ihr seid gar nichts!« Der Gouverneur versuchte aufzustehen, doch seine Beine waren noch taub, sodass er zur Seite fiel. Randall wollte ihm aufhelfen, doch der alte Mann stieß ihn weg. »Fasst mich nicht an! Ihr seid Chinese, aber nicht mein Freund!«
»Geht nicht dort hinein«, flehte Randall.
Doch Yu schleppte sich bis zu der Türöffnung und blickte in den Nachbarraum. Er sagte kein Wort, während er das Geschehene in sich aufnahm. Dann sank er nieder und schlug sich die Hände vors Gesicht. »Ihr habt mir das angetan!«, weinte er. »Ihr habt mich im Stich gelassen!«
»Was wisst Ihr über den Verbleib von Harry Parkes?«, fragte Randall nüchtern.
»Wie könnt Ihr es wagen?«, schrie Yu. »Wie könnt Ihr es wagen?«
»Um das zu erfahren, bin ich hergekommen, und Ihr werdet es mir sagen«, insistierte Randall. Es hätte den alten Mann kaum trösten können, wenn er ihm erklärte, warum die Stadt angegriffen worden war. »Wo ist Parkes?«
»Ich verfluche Euch und Eure Familie!«, rief Yu.
»Ich bin schon verflucht!«, erwiderte Randall ärgerlich. »Kann das nicht jeder sehen?«
Der Gouverneur war sprachlos, als er die Kälte in Randalls Augen sah. »Ihr seid der Teufel«, flüsterte er. »Der Teufel.«
»Ihr werdet mir jetzt sagen, was ich wissen muss«, wiederholte Randall und griff Yu an die Kehle. »Nur so kann ich alldem ein Ende machen!« Randall drückte auf den Kehlkopf.
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