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Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Titel: Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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seinen trägen Verlauf. Der Mathematiker G. H. Hardy hatte vor einem Jahrhundert hier den Spielen zugesehen, sinnierte Markham, und genau wie er selbst den Nachmittag vertrödelt. Markham begriff das Ziel des Spiels, aber nicht seine Feinheiten. Den Fachjargon dieser Sportart hatte er nie verstanden, und ein gutes Spiel konnte er immer noch nicht als solches erkennen. Er ging hinter den Reihen der Zuschauer in ihren stoffbezogenen Klappstühlen vorbei und fragte sich, was die Cricketzuschauer des vergangenen Jahrhunderts vom heutigen England halten würden. Er vermutete, wie die meisten Menschen heute würden sie annehmen, die Zukunft sei kaum anders als die Gegenwart.
    Markham bog in die Regent Straße und nahm den Weg am Botanischen Garten der Universität vorbei. Dahinter lag eine Knabenschule Zur Weitergabe der Normen und Talente der Oberklassen, wie es in der uralten Formulierung eines Königs hieß. Er schritt durch den Torbogen und blieb vor dem Schwarzen Brett der Schule stehen. Die folgenden Schüler haben ihre persönliche Habe verloren. Sie werden sich am Donnerstag, den 4. Juni im Präfektenbüro einfinden.
    Kein »bitte«. Keine unnötigen abmildernden Floskeln, nur eine direkte Feststellung. Markham konnte sich das kurze Gespräch ausmalen: »Es tut mir Leid, sehen Sie …« »Regelstrafe. Fünfzig Zeilen, gestochene Handschrift. Morgen in der Pause bekomme ich sie.« Und der Schüler würde sich an die Arbeit machen: Mein sorgloser Umgang mit meiner privaten Habe wird aufhören.
    Die Tatsache, dass der Schüler möglicherweise einen der modernen Stimmschreiber für fast alle seine Schulaufgaben benutzte, spielte keine Rolle. Das Prinzip regierte.
    Sonderbar, wie Formvorschriften aufrechterhalten wurden, wenn alles andere – Gebäude, Politik, Ruhm – zerfiel. Vielleicht bezog diese Institution daraus ihre Stärke. Hier herrschte eine Zeitlosigkeit, die in Kaliforniens trockener Luft keinen Bestand haben konnte. Jetzt, da der Sommer in voller Blüte stand, schienen die gekünstelten Verhaltensweisen der Schulen und Colleges noch älter, ein Stück aus einer fadenscheinigen Zeit. Das Ende des endlosen, harten Winters und des regnerischen Frühlings ließen seine Stimmung steigen.
    Er fühlte, wie seine Gedanken sich von dem Tachyonenproblem lösten und Zuflucht zu der behaglichen Aura der Vergangenheit suchten. Er wusste, für ihn war das etwas anderes. Engländer waren Fische, die in diesem Meer der Vergangenheit schwammen. Für sie war sie eine greifbare Gegenwart, die wie ein Souffleur die Ereignisse kommentierte. Amerikaner sahen die Vergangenheit als Klammern in den fortlaufenden Sätzen – Nebenbemerkungen, die außerhalb des Satzflusses standen.
    Auf dem Weg zurück zu den Colleges ließ er sich von diesem Gefühl des Drangs der Zeit überfluten. Er und Jan waren an einigen Colleges Gast an der erhöhten Speisetafel gewesen, dem elementarsten anglophilen Erlebnis. Die wie Quecksilber glänzende Gedenktafel, verzierte Pokale. Im Salon aus poliertem Holz hingen die Porträts der Collegegründer im Goldrahmen. Jan war überrascht, in der großen Speisehalle eine faktische Isolierung vorzufinden: Eton-Absolventen an einem Tisch, Harrowianer an einem andern, die Schüler der minder bedeutenden Public Schools an einem dritten und schließlich die Wissenschaftler von staatlichen Schulen zusammen mit allen anderen an einem bunt gemischten letzten Tisch. Für einen Amerikaner schien diese Zitadelle nach den Jahrzehnten energischer Politik der Gleichheit um jeden Preis ein sonderbares Relikt. Das Vertrauen auf ererbte Vorteile hatte Bestand, ebenso die Anschauung, dass ein solches System ebenfalls eine ererbte Tugend war. Die Vergangenheit existierte weiter. Man konnte auf dem aktuellsten Stand der Dinge sein, man wusste alles über die lateinamerikanischen Riffs von Lady Delicious, und doch saß man still und behaglich in Chorstühlen der Kapelle im Kings’ College und lauschte den cherubimhaften Knaben in elisabethanischen Halskrausen bei ihrem Versuch, das bemalte Glas mit schrillen Lautattacken zerspringen zu lassen. Die Vergangenheit schien auf verwirrende Weise noch existent, alles war miteinander verknüpft, und selbst die Erkenntnis, dass die Zukunft eine greifbare Sache war, schien in dieser Gegenwart lebendig.
    Einen Moment entspannte Markham sich und ließ die Gedanken aus seinem Unterbewusstsein nach oben dringen. Spaziergänge waren der sanfte Anstoß, den sein Denken brauchte; er hatte

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