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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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meine Profession ist es, zu beobachten.
    Ich rieb mir die Augen, starrte hoch zu dem am Himmel hängenden Sonnenband
    und weigerte mich einfach, seine Bewegungslosigkeit hinzunehmen. Aufgrund
    meiner Reise durch die Zeit wurde ich durch den Dilatationseffekt von der Realität der alternden Welt um mich herum abgeschirmt, so daß ich die Wärme der Son-nenstrahlen nicht spüren konnte. Aber ihre Helligkeit stach mir in die Augen, und es hatte den Anschein, als ob das Band noch heller würde. Zunächst fragte ich mich, ob mir die Phantasie einen Streich spielte oder ob ich etwas an den Augen hätte. Benebelt senkte ich den Kopf, wischte ein paar Tränen am Jackenärmel ab und blinzelte, um die Augen von Streifen verschwommener Lichtpunkte zu befreien.
    Ich bin weder ein Primitiver noch ein Feigling – schließlich hatte ich eine Zeitmaschine konstruiert und war in eine unbekannte Zukunft aufgebrochen – und
    doch, als ich auf dem Sitz hockte und an die immensen Leistungen dieser zukünftigen Menschen dachte, kam ich mir wie ein nackter und bemalter Wilder vor, der vor diesem komischen Götterhimmel kniete. Aus den Tiefen des Bewußtseins
    fühlte ich eine tiefe Besorgnis um meine geistige Gesundheit emporsteigen; und dennoch klammerte ich mich an den Glauben, daß ich es – irgendwie – doch versäumt hatte, dieses verblüffende astronomische Phänomen auf meiner ersten Reise zu registrieren. Denn die einzige Alternativhypothese jagte mir eine unsägliche Angst ein: daß ich mich auf meiner ersten Reise eben nicht vertan hatte; daß die Erdachse damals eben nicht verschoben war – sondern daß sich der Ablauf der Geschichte selbst geändert hatte.
    Die fast unvergänglichen Konturen der Hügelkette waren unverändert – die Morphologie des uralten Landes wurde von diesem aufkommenden Licht am Himmel
    nicht beeinträchtigt – aber ich konnte erkennen, daß sich das weite Grün, von dem das Land bedeckt gewesen war, nun unter der stetigen Glut der intensivierten Sonne zurückgezogen hatte. Jetzt bemerkte ich ein entferntes Flackern über dem Kopf und schaute mit vorgehaltener Hand nach oben. Das Flackern ging von dem Sonnenband am Himmel aus – oder von dem, was einmal das Sonnenband gewesen
    war, denn ich registrierte, daß ich jetzt irgendwie wieder in der Lage war, den ka-nonenkugelartigen Flug der Sonne zu beobachten, wie sie auf ihrer täglichen Bahn über den Himmel schoß; ihre Bewegung war jetzt nicht mehr so rapide, daß ich sie nicht mehr hätte verfolgen können, und es war der Tag-Nacht-Rhythmus, der das von mir wahrgenommene Flackern hervorrief.
    Zuerst dachte ich, daß meine Maschine langsamer werden würde. Als ich dann
    aber auf die Instrumente niederblickte, sah ich, daß die Zeiger mit der gleichen Geschwindigkeit wie bisher über die Skalen huschten.
    Die perlgraue Uniformität des Lichts löste sich auf, und die Übergange zwischen Tag und Nacht wurden prononcierter. Die Sonne glitt über den Himmel und wurde mit jedem Durchlauf langsamer, heiß und hell und gelb; und bald erkannte ich, daß der flammende Stern viele Jahrhunderte benötigte, um einen Umlauf um die Himmelssphäre zu vollenden.
    Schließlich kam die Sonne ganz zum Stillstand; sie verhielt am westlichen Horizont, heiß und gnadenlos und stetig. Die Eigenrotation der Erde hatte aufgehört; nun wandte sie ständig dieselbe Seite der Sonne zu!
    Die Wissenschaftler des neunzehnten Jahrhunderts hatten vorhergesagt, die Ge-zeiteneffekte der Sonne und des Mondes würden irgendwann dazu führen, daß die Eigendrehung der Erde zum Erliegen käme und sie der Sonne dann immer dieselbe Seite zuwenden würde, genauso wie der Mond der Erde nur eine Seite zukehrte.
    Ich hatte das auf meiner ersten Reise in die Zukunft selbst beobachtet: aber dies war ein Ereignis, das eigentlich erst in vielen Millionen Jahren eintreten sollte. Und doch fand ich schon jetzt, kaum mehr als eine halbe Million Jahre in der Zukunft, eine zum Stillstand gebrachte Erde vor!
    Ich realisierte, daß ich erneut die Hand der Menschheit am Werk gesehen hatte –
    vom Affen abstammende Finger, die mit der Attitüde von Göttern über die Jahrhunderte griffen. Nicht damit zufrieden, die Position seiner Welt verändert zu haben, hatte der Mensch die Rotation der Erde selbst aufgehoben und damit den uralten Zyklus von Tag und Nacht verbannt.
    Ich ließ den Blick über Englands neue Wüste schweifen. Hier und da ortete ich die Konturen zäher Büsche – deren Form ein wenig an

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