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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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unsere Geschwindigkeit zu einem einheitlichen Grünschleier reduziert wurden – und die Luft erwärmte sich.
    Der Schmerz dieser Äonen der Kälte wich schließlich aus meinen Fingern, und
    ich zog die Jacke aus und öffnete die Knöpfe meines Hemdes; dann zog ich die Stiefel aus und ließ die Blutzirkulation in den Füßen wieder in Gang kommen.
    Barnes Wallis' numerierte Sicherheitsplakette fiel aus meiner Jackentasche. Ich hob es auf, dieses kleine Symbol der mißtrauischen Abgrenzung der Menschen
    untereinander, und ich kann mir nicht vorstellen, daß ich in diesem urweltlichen Grün ein perfekteres Symbol für die Engstirnigkeit und Absurdität hätte finden können, für die soviel menschliche Energie vergeudet wird! Ich warf die Plakette in einen dunklen Winkel des Fahrzeugs.
    Die langen Stunden, die wir in diesem schwülen gruftartigen Gewächshaus verbrachten, vergingen langsamer als je zuvor, und ich machte ein kleines Schläfchen.
    Als ich aufwachte, schien sich die Qualität des Grüns um mich herum verändert zu haben – es war durchsichtiger, annähernd vom Farbton des Plattnerits, und ich glaubte, die Andeutung von Sternenballungen zu erkennen – es kam mir so vor, als ob ich eher von Smaragden als von Blättern umgeben wäre.
    Dann sah ich es: Es schwebte in der feuchten, düsteren Luft der Kabine, unbeeindruckt von dem Stampfen des Fahrzeugs, mit seinen großen Augen, dem vollen V-förmigen Mund und diesen herabhängenden Tentakeln, die jedoch nicht den
    Boden berührten. Dies war keine Einbildung – ich konnte durch es hindurchsehen, zu den Details des draußen liegenden Waldes – und es war so real wie ich, Nebogipfel oder die Stiefel, die ich auf die Bank gestellt hatte.
    Der Beobachter musterte mich mit einem kühlen, analytischen Blick.
    Ich verspürte keine Angst. Ich streckte eine Hand nach ihm aus, aber sie stach nur durch die Luft. Ich hatte keinen Zweifel, daß seine grünen Augen auf mein Gesicht fixiert waren. »Wer bist du?« erkundigte ich mich. »Kannst du uns helfen?«
    Wenn es mich verstehen konnte, antwortete es nicht. Aber die Lichtverhältnisse änderten sich bereits; diese lichtdurchdrungene Anmutung der Luft wich wieder einem Gemüse-Grün. Dann verspürte ich ein Gefühl, als ob ich rotieren würde –
    dieser große Schädel war wie ein Kreisel, der sich um seine vertikale Achse drehte
    – und dann war es auch schon wieder verschwunden.
    Nebogipfel kam zu mir in das Heckabteil, wobei seine langen Füße über den ge-riffelten Boden schlurften. Er hatte seine Neunzehnte-Jahrhundert-Klamotten abgelegt und ging nackt, abgesehen von seiner zerbrochenen Brille und dem weißen Haarpelz auf seinem Rücken, der inzwischen verfilzt und struppig war. »Was ist los? Bist du krank?«
    Ich erzählte ihm von dem Beobachter, aber er hatte nichts dergleichen gesehen.
    Ich legte mich wieder auf der Bank zur Ruhe und fragte mich, ob das, was ich gesehen hatte, real gewesen sei – oder nur ein Tagtraum.
    Die Hitze war drückend, und die Luft in der Kabine wurde stickig.
    Ich dachte an Gödel, und an Moses.
    Dieser unscheinbare Mann, Gödel, hatte die Existenz Multipler Historien ausschließlich von ontologischen Prinzipien deduziert – während ich, armer Narr, der ich bin, erst mehrere Zeitreisen unternehmen mußte, um auch nur auf diese Möglichkeit zu stoßen! Aber nun lag dieser Mann, der diese großartigen Träume von der Finalen Welt gehabt hatte, einer Welt, in der alle Bedeutung aufgelöst wird, zerschmettert und erschlagen unter einem Trümmerhaufen aus Steinen – getötet durch die Engstirnigkeit und Dummheit seiner Mitmenschen...
    Und was Moses betraf, so verspürte ich einfach Trauer. Es mußte wohl dem desolaten Gefühl ähneln, das man beim Tode eines Kindes oder jüngeren Bruders
    verspürt. Moses war mit sechsundzwanzig gestorben; und doch war ich – die gleiche Person – noch mit vierundvierzig am Leben! Meine Vergangenheit war hinter mir gelöscht worden; es war, als ob meine Fundamente verdampft wären und ich frei in der Luft hinge. Aber darüber hinaus hatte ich Moses, wenn auch nur kurz, als eine eigenständige Person kennengelernt. Er war fröhlich, impulsiv, etwas unvernünftig – genau wie ich! – und sehr sympathisch gewesen.
    Noch ein Tod, den ich zu verantworten hatte.
    Nebogipfels ganzes Gerede von einer Multiplizität der Welten – all die möglichen Argumente, daß der Moses, den ich gekannt hatte, am Ende niemals ich sein sollte, sondern nur eine

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