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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Elefanten erinnerte – erschien nicht weit vom Zeit-Fahrzeug auf dem Boden, ausgebleicht, knöchern und zerfallen. Er existierte lange genug, daß ich für eine Sekunde oder so seine Konturen ausmachen konnte, bevor er so schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war.
    »Nebogipfel – vorhin... dein Gesicht. Ich... du mußt verstehen...«
    Er schaute mich mit seinem unversehrten Auge an. Ich sah, daß er in seine Morlock-Verhaltensweisen zurückfiel und die angenommene menschliche Fassade
    verlor. »Was? Was muß ich verstehen?«
    »Ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Das wolltest du jetzt nicht«, konstatierte er mit der Präzision eines Chirurgen.
    »Aber du wolltest es vorhin. Eine Entschuldigung ist nutzlos – absurd. Du bist, was du bist... wir gehören verschiedenen Spezies an, die so wenig gemeinsam haben wie wir beide mit den Australopithecinen.«
    Ich kam mir wie ein primitives Tier vor, und meine großen Fäuste waren erneut mit dem Blut eines Morlocks befleckt. »Du beschämst mich«, sagte ich.
    Er schüttelte auf eine kurze, knappe Art den Kopf. »Beschämen? Dieses Konzept ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung.«
    Ich brauchte nicht mehr Scham zu empfinden – wollte er damit wohl ausdrücken
    – als ein wildes Tier im Dschungel. Wenn mich eine solche Kreatur angegriffen hätte, würde ich dann mit ihr die moralischen Aspekte des Falls erörtern? Nein –
    ohne Intelligenz konnte es nichts für sein Verhalten. Ich mußte mich nur mit seinen Reflexen befassen.
    Gegenüber Nebogipfel hatte ich mich – wieder! – als kaum besser als die plumpen Wilden der afrikanischen Savanne erwiesen, die in dieser desolaten Periode unmerklich zu Menschen wurden.
    Unmerklich unterschied ich mich von ihnen.
    Ich zog mich zu den Holzbänken zurück. Ich legte mich hin, schob einen Arm
    unter den Kopf und beobachtete das Flackern der Erdzeitalter vor der immer noch offenen Tür des Fahrzeugs.

Der Beobachter
    Die dunkle Winterkälte verschwand, und der Himmel nahm eine komplexere, flek-kige Struktur an. Gelegentlich wurde das hin-und herrasende Sonnenband sekun-denlang von einer dunklen Wolkenschicht ausgeblendet. Neue Baumarten gediehen in diesem milderen Klima: Laubbäume, wie ich erkennen konnte, Ahorn, Eiche, Pappeln, Zedern und andere. Manchmal schlugen diese antiken Wälder über dem Fahrzeug zusammen, hüllten uns in ein Dämmerlicht aus flackerndem Grünbraun und traten dann wieder beiseite, als ob ein Vorhang zurückgezogen worden wäre.
    Wir waren in ein Zeitalter machtvoller tektonischer Tätigkeit eingetreten, teilte Nebogipfel mir mit. Die Alpen und der Himalaya wurden aufgefaltet, und riesige Vulkane spien Asche und Staub in die Luft, wobei sie den Himmel manchmal jahrelang verdüsterten. In den Ozeanen – so sagte der Morlock – kreuzten große Haie mit dolchartigen Zähnen. Und in Afrika fielen die Vorläufer der Menschheit in primitive Bewußtlosigkeit zurück, mit schrumpfenden Gehirnen, stolperndem
    Gang und ungelenken, plumpen Fingern.
    Wir fielen vielleicht zwölf Stunden lang durch dieses endlose, wilde Zeitalter.
    Ich versuchte, den an mir nagenden Hunger und Durst zu ignorieren, während
    Jahrhunderte und Wälder an der Kabine vorbeiflackerten. Dies war die längste Reise durch die Zeit, die ich seit meinem ersten Sturz in die entfernte Zukunft über Weenas Historie hinaus erlebt hatte, und diese ungeheure, sinnlose Leere – die sich Stunde um Stunde hinzog – begann sich drückend auf meine Seele zu legen. Die kurze Evolution der Menschheit war schon zu einem entfernten Lichtstrahl geschrumpft, verloren in der Zeit; selbst die Distanz zwischen der Menschheit und den Morlocks – egal welcher Ausprägung – war nur ein Bruchteil der großen Distanz, die wir bereits zurückgelegt hatten.
    Die riesige Dimension der Zeit und die Kleinheit der Menschen und ihrer Errungenschaften erschlugen mich schier; und meine eigenen kleinen Sorgen schienen jetzt von absurder Bedeutungslosigkeit. Die Geschichte der Menschheit wirkte trivial, ein kurzes Taschenlampenblinken, verloren in den dunklen Hallen der Ewigkeit.
    Die Erdkruste hob und senkte sich wie die Brust eines Erstickenden, und das
    Zeit-Fahrzeug wurde mit der sich ausprägenden Landschaft emporgehoben oder
    abgesenkt; es war wie die Gezeiten eines riesigen Ozeans. Die Vegetation wurde üppiger und grüner, und neue Wälder wölbten sich über das Zeit-Fahrzeug – ich hielt sie für Laubbäume, obwohl Blüten und Blätter durch

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