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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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einer einzigen Kugel konnte ich ohnehin nicht viel damit anfangen.
    Konsterniert wandte ich mich von dem Tisch ab und überprüfte die Türen und
    Fenster. Die Türen verfügten über simple Knäufe, die gedreht wurden, aber sie führten nur in die anderen Räume der Suite oder in meine Kammer; es gab keinen Weg in die Außenwelt. Ich stellte allerdings fest, daß die Verkleidung vor den Fenstern abgenommen werden konnte, und war zum erstenmal imstande, dieses neue
    1891, diese Weiße Erde, zu inspizieren.
    Meine Position befand sich mindestens dreihundert Yards über der Erde! – wir schienen uns im obersten Sektor eines riesigen zylindrischen Turms zu befinden, dessen Flanken sich unter mir erweiterten. Alles, was ich jetzt sah, verstärkte den ersten Eindruck, den ich beim letzten Blick aus dem Zeitfahrzeug bekommen hatte, kurz bevor mich die Kälte erwischte: daß es sich hier um eine Welt handelte, die für immer im Eis versunken war. Der Himmel war waffengrau, und das vereiste
    Land glitzerte grauweiß wie blanke Knochen, ohne dieses attraktive Blau, das manche Schneefelder zierte. Beim Blick nach draußen konnte ich in vollem Umfang den tödlich stabilen Zustand dieser Welt erkennen, wie Nebogipfel ihn beschrieben hatte: das Tageslicht glitzerte grell auf der narbigen Eiskruste, welche die Erde überzog, und das Weiß dieses globalen Panzers strahlte die Wärme der Sonne sofort wieder in die Tiefen des Weltraums ab. Die arme Erde war tot, für alle Zeit tiefgefroren inmitten dieser eisigen klimatischen Stabilität – aber es war die letztgültige Stabilität des Todes.
    Hier und da sah ich einen Konstrukteur – von genau der gleichen Form wie unser Kamerad hier in Nebogipfels Apartment – in der frostigen Landschaft stehen. Die Konstrukteure traten immer nur allein auf und standen wie verunglückte Monumente herum, ein stahlgrauer Tupfer auf dem knochenweißen Eis. Ich sah sie nie in Bewegung! Es war, als ob sie einfach an ihren jeweiligen Positionen erschienen, wobei sie vielleicht aus der Luft materialisierten. (Und wirklich erfuhr ich später, daß ich mit dieser ersten Vermutung gar nicht so falsch gelegen hatte.)
    Das Land war tot: aber nicht ohne Anzeichen von Intelligenz. Es gab noch weitere große Gebäude wie das unsrige, die über die Landschaft verteilt waren. Sie wiesen schlichte geometrische Formen auf: Zylinder, Kegel und Kuben. Von meinem Aussichtspunkt konnte ich nach Süden und Westen blicken, und aus dem Augen-winkel erkannte ich, daß diese großen Bauten bis Battersea, Fulham, Mitcham und noch darüber hinaus verstreut waren. Soweit ich sehen konnte, waren sie im
    Durchschnitt eine Meile voneinander entfernt; und der ganze Anblick – die Eisfelder, die stummen Konstrukteure, die schlichten, anonymen Gebäude – ergab per Saldo ein düsteres, unmenschliches London.
    Ich kehrte zu Nebogipfel zurück, der noch immer vor seinem Konstrukteur stand.
    Die Metallhaut des Dings kräuselte sich und glitzerte, als ob sie die Oberfläche eines gekippten Teichs wäre, in dem Metallfische umherschwammen, und dann
    stach eine Protuberanz – ein zolldickes Rohr – aus der Oberfläche, das die gleiche metallisch glitzernde Struktur wie die Pyramide aufwies, und schob sich auf Nebogipfels wartendes Gesicht zu.
    Der Vorgang kam mir natürlich bekannt vor; es war dieses Okular, das ich schon einmal gesehen hatte.
    Gleich würde es sich in Nebogipfels Schädel einklinken.
    Ich pirschte um den Konstrukteur herum. Wie ich bereits gesagt hatte, sah der Konstrukteur aus wie ein Schlackehaufen; er war bis zu einem gewissen Grad ›lebendig‹ – und mobil, denn ich hatte ja dieses Objekt, oder ein ähnliches, über meinen Körper kriechen sehen –, aber in bezug auf seinen Daseinszweck konnte ich nicht einmal Spekulationen anstellen. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, daß die Oberfläche von Metallhaaren bedeckt war: Fühler wie Eisendrähte, die aktiv und intelligent in der Luft herumwedelten. Erstaunt und mit angestrengtem Auge sah ich, daß es darunter noch weitere Detailebenen gab, die sich meiner altersbe-dingten Kurzsichtigkeit jedoch verschlossen. Die Struktur dieser bewegten Oberfläche war gleichermaßen faszinierend und abstoßend: mechanisch, aber mit der Qualität von Leben. Ich verspürte kein Verlangen, sie zu berühren – ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, daß diese wimmelnden Fühler gegen meine Haut schlugen – und ich hatte auch keine Instrumente, mit denen ich eine

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