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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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wirkende Nebogipfel begann sie durchzu-blättern. Weiterhin gab es einen großen, mit vielen Gittern besetzten Schrank. Moses öffnete ihn und stieß auf eine verwirrende Vielfalt von Ventilen, Spulen und Rollen geschwärzten Papiers. Dieser Apparat war ein sogenannter Phonograph. Er hatte die Größe und Form einer Standuhr, und über seine Vorderseite verliefen elektrische barometrische Anzeigen, eine elektrische Uhr und Kalender sowie diverse Zustandsanzeiger; und er war imstande, Sprache und sogar Musik zu empfangen, die von einer Weiterentwicklung der drahtlosen Telegraphie meiner Zeit mit hoher Präzision übertragen wurde. Moses und ich verbrachten einige Zeit mit diesem Apparat und experimentierten mit seiner Steuerung. Er konnte mittels eines verstellbaren Kondensators Radiowellen unterschiedlicher Frequenzen empfangen
    – dieses geniale Gerät ermöglichte es dem Hörer, sich die Resonanzfrequenz bestimmter Schwingkreise auszusuchen – und wir stießen auf eine erstaunliche Anzahl von Rundfunkstationen: wenigstens drei oder vier!
    Filby hatte sich einen Drink aus Whisky und Wasser gemischt und verfolgte mit Wohlgefallen unsere Experimente. »Der Phonograph ist ein wunderbares Gerät«, schwärmte er. »Macht uns alle zu einem Volk – meint ihr nicht auch? – obwohl die Stationen natürlich alle nur IM sind.«
    »IM?« »Informations-Ministerium.« Dann versuchte Filby unsere Aufmerksamkeit zu erregen, indem er uns von der Entwicklung eines neuartigen Phonographen erzählte, der auch Bilder darstellen konnte. »Er existierte schon vor dem Krieg, fand aber wegen der Verzerrung durch die Kuppeln keinen Anklang. Und wenn ihr Bilder wollt, gibt es immer noch die Schwatz-Maschine – alles freilich bloß IM-Kram –, aber wenn ihr mitreißende Reden von Politikern und Militärs liebt und Durchhalteparolen von der Prominenz, dann liegt ihr damit richtig!« Er schwenkte seinen Whisky und grinste. »Aber was kann man schon groß erwarten? – ist
    schließlich Krieg.«
    Moses und ich wurden des Flusses eintöniger Nachrichten und der reichlich mü-
    den Orchesterklänge aus dem Phonographen bald überdrüssig und schalteten das Gerät ab.
    Jedem von uns wurde ein Schlafzimmer zugewiesen. Außerdem gab es saubere
    Unterwäsche für alle – sogar für den Morlock – obwohl die Sachen offensichtlich schludrig zusammengenäht waren und schlecht saßen.
    Ein Gefreiter, ein schmalgesichtiger Junge namens Puttick, sollte bei uns im Haus bleiben; obwohl er jedesmal, wenn ich ihn sah, im Kampfanzug herumlief, gab dieser Puttick einen wirklich guten Hausdiener und Koch ab. Außerdem befanden sich ständig weitere Soldaten vor dem Haus und auf der Straße. Es war ganz klar, daß wir unter Bewachung standen – oder gar Gefangene waren!
    Gegen sieben rief uns Puttick zum Abendessen ins Eßzimmer. Nebogipfel schloß sich uns nicht an. Er verlangte nur nach Wasser und einem Teller Frischgemüse; und er blieb im Raucherzimmer, die Brille auf seinem haarigen Gesicht, hörte dem Phonographen zu und studierte die Magazine.
    Das Essen erwies sich zwar als frugal, aber schmackhaft. Der Hauptgang war ein Teller mit etwas, das wie Roastbeef aussah, Kartoffeln, Kohl und Möhren. Ich stocherte am Fleisch herum; es zerfiel ziemlich leicht, und seine Fasern waren kurz und weich.
    »Was ist das?« fragte ich Filby.
    »Soja.«
    »Was?«
    »Sojabohnen. Sie wachsen im ganzen Land, außerhalb der Kuppeln – sogar der Oval Cricket Ground ist ihrem Anbau geopfert worden! – denn an Fleisch kommt man dieser Tage nicht mehr so leicht. Die Schafe und Rinder lassen sich nämlich so schwer überreden, ihre Gasmasken anzubehalten, weißt du!« Er schnitt sich eine Scheibe von diesem Zuchtgemüse ab und stopfte sie in den Mund. »Versuch doch auch mal! – ist recht schmackhaft; diese Lebensmitteltechniker verstehen ihr Geschäft.«
    Das Zeug lag trocken und bröselig auf der Zunge, und sein Geschmack erinnerte an feuchte Kartonage.
    Filby registrierte betrübt meine Reaktion. »Es ist gar nicht so schlecht«, versuchte er mir zuzureden. »Du wirst dich noch daran gewöhnen.«
    Darauf fiel mir nichts ein. Ich spülte das Zeug mit Wein runter – er schmeckte wie ein guter Bordeaux, obwohl ich es mir verkniff, mich nach seiner Herkunft zu erkundigen – und der Rest des Mahls verlief in Schweigen.
    Als wir fertig waren, hatten wir Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen – ich
    glaube, daß wir alle an diesem Tag zuviel von dieser Welt gesehen hatten

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