Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
verhindern. Ich richte den Blick auf den Mann vor mir. Er sieht genauso aus wie immer. Ein wenig älter, und die Kanten des Kinns und der Wangenknochen wirken schärfer, als hätte er abgenommen. Das Haar ist kürzer, der Schnitt streng. Ich beginne zu zittern. Fühlt es sich so an, wenn man verrückt wird?
»James?«, flüstere ich.
»Richtig.«
»W-was wirst du mit uns machen?«
»Noch nichts. Eigentlich bin ich auch gar nicht auf dich böse. Sie ist diejenige, die mit alldem angefangen hat, aber leider kann ich sie nicht aufhalten«, sagt er. »Es tut mir leid, Marina, aber ich werde dich umbringen müssen.«
Em
James bewegt sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit, als er sich auf mich wirft, während ich die Waffe hebe. War das die ganze Zeit sein Plan? Ein paar Antworten bekommen und gleichzeitig meine Wachsamkeit mindern? Er wusste genau, welche Knöpfe er bei mir drücken muss – Freundschaft und Loyalität –, damit ich mitspiele.
In Bezug auf James Shaw, so scheint es, werde ich wohl nie dazulernen.
Ich kann noch einen Schuss abfeuern, bevor er mich umwirft, aber der geht weit daneben. James trifft mich mit solcher Wucht, dass mein Kopf mit lautem Krachen aufschlägt und ich über den gekachelten Boden schlittere. Schwarze Sterne explodieren vor meinen Augen. James ist auf mir und hält mich am Boden fest. Ich strecke die Pistole so weit weg von ihm, wie ich kann, während ich versuche, ihn von mir herunterzustoßen. Er stürzt sich auf die Waffe, was bedeutet, dass er den Großteil seines Gewichts von meinem Körper wegverlagern muss. Ich stoße ihm ein Knie zwischen die Beine und krieche weg, als er sich krümmt. Die Pistole liegt jetzt verkehrt herum in meiner Hand. Ich versuche, sie wieder richtig zu packen, aber er ist zu schnell. Er springt auf mich zu und umschlingt mich mit den Armen, sodass ich meine eigenen nicht mehr bewegen kann.
»Es tut mir leid«, sagt er, und ich spüre seine Worte heiß an meinem Ohr, »aber ich kann mich nicht einfach von dir umbringen lassen. Ich werde das Richtige tun.«
Ich versuche, ihm den Ellbogen in den Magen zu rammen, aber sein Klammergriff ist zu fest. Mein einziger Vorteil ist, dass er nicht nach der Waffe greifen kann, ohne mich so weit loszulassen, dass ich mich befreien könnte.
Es ist eine Pattsituation.
Bei einem von uns werden zuerst die Kräfte erlahmen. Ich fürchte, dass ich das sein werde, und ich kann nicht einfach darauf warten. Ich hole tief Luft und lasse die Waffe fallen. Ich trete sie mit aller Macht weg, sodass sie geräuschvoll über die Fliesen auf die andere Seite des Waschraums schlittert. Ich spüre, dass James einen Moment unentschlossen zögert, doch dann lässt er mich los, um der Pistole hinterherzuhechten. Ich packe sein Bein und kralle mich in seine Jeans, als er versucht, mich wegzutreten. Er liegt nun ausgestreckt auf dem Boden, und meine Position über ihm gibt mir einen Vorteil. Ich kann schneller als er bei der Waffe sein …
Aber dann trifft mich einer seiner Füße, direkt auf die Nase. Die Welt explodiert, und ich glaube, ich höre den Knochen brechen. Meine Hände fliegen an mein Gesicht, und ich benutze den Ärmel von Connors Kapuzenpulli, um den warmen Blutstrom aufzufangen.
Als ich mich zwinge, die Augen zu öffnen, hat James die Pistole. Schwer atmend richtet er sie auf mich.
»Tu’s«, sage ich. »Ich werde bloß wiederkommen.«
Seine Augen schimmern hell. »Das könnte ich nie. Darum geht’s hier doch gar nicht.«
Ich beuge den Kopf und denke an Marina und daran, dass ich sie im Stich gelassen habe. Mein Kampfgeist geht in der Verzweiflung unter. Hat der Doktor sie mittlerweile geschnappt? »Eines Tages wird das anders sein.«
Das schrille Läuten meines Handys durchbricht die Stille, und ich fahre zusammen. Finn. Ich wende den Blick nicht von James, während ich das Handy langsam aus der Tasche ziehe. Er kann mich erschießen, wenn er will, aber ich werde verdammt noch mal rangehen.
Ich klappe es auf und drücke auf die Taste mit dem grünen Hörer. »Finn?«
James’ Kiefermuskeln spannen sich an, aber ansonsten bewegt er sich nicht.
»Er hat sie.« Finns Stimme klingt rau und verzerrt. »Der Doktor hat die beiden.«
Seine Worte saugen alle Luft aus dem Raum. Plötzlich gibt es keine Toilette mehr, keine Waffe, keinen James, nur noch Finns Stimme. »Was ist passiert?«
»Er hat ihnen aufgelauert, eine Straße von Marinas Haus entfernt. Mich hat er mit dem Elektroschocker erwischt, und als ich
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