Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Titel: Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristin Terrill
Vom Netzwerk:
seinem gestürzten Bruder zu gelangen. Finn, zusammen mit einem halben Dutzend anderer Leute, dreht sich um und rennt in die entgegengesetzte Richtung, aus dem Ballsaal hinaus. Ich folge James.
    Agenten des Secret Service haben den Vizepräsidenten eilig aus dem Ballsaal geschafft, und eine Reihe von ihnen formiert sich zu einem Bollwerk vor der Bühne. Sie schieben die Leute zurück, die von der flüchtenden Menge nach vorne gedrängt werden. Hinter den Agenten haben sich die Männer, die bereits auf der Bühne standen, um Nate versammelt, darunter Bürgermeister McCreedy und Senator Gaines, der neben Nate kniet und eine Hand auf die Wunde in seiner Brust presst. James rennt mit voller Wucht in die Reihe der Agenten, als würde er sie nicht einmal sehen. Sie packen ihn an Arm und Schulter und halten ihn zurück.
    »Er ist mein Bruder!«, schreit er mit einer Stimme, die kaum noch menschlich klingt. »Er ist mein Bruder !«
    Ich finde meine Stimme wieder. »Das ist James Shaw. Lassen Sie ihn durch!«
    Gott sei Dank blickt der Bürgermeister auf und sagt: »Das geht in Ordnung, Gentlemen!« Sonst, glaube ich, hätte James sie in Stücke gerissen. Das Entsetzen brennt in ihm, er scheint zu glühen, und ich glaube, keine Naturgewalt hätte ihn aufhalten können. Er macht einen Satz auf die Bühne, kracht gegen die zweite Reihe Männer zwischen ihm und seinem Bruder und bricht hindurch. Ich kann, zurückgehalten von den Agenten, nur hilflos zusehen, wie er neben Nate niederkniet und seine Hand ergreift.
    Nates Augäpfel rollen in einer schrecklichen Bewegung nach oben, als hätte er sie nicht mehr unter Kontrolle. Ich wende mich ab und übergebe mich auf den kunstvollen Teppich des Ballsaals.

S IEBEN
    Marina
    Zeit vergeht. Ich weiß nicht, wie viel. Der Secret Service scheucht uns aus dem Ballsaal – dem Tatort –, und ich setze mich irgendwann auf den Boden der Lobby, ein paar Meter vom Haupteingang entfernt, der jedes Mal, wenn er sich öffnet und schließt, einen Schwall eisiger Luft in meine Richtung schickt. Ich schere mich nicht darum, dass Schmutz aus dem Teppich auf mein schönes Kleid gelangt. Irgendwo habe ich einen von Sophies Schuhen verloren, und ein Bluterguss auf meinem Arm wird rasch dunkel, auch wenn ich mich an den Stoß gar nicht erinnere. Um mich herum stehen Leute in kleinen Gruppen zusammen. Sie weinen oder beantworten die Fragen der Agenten, die ausgeschwärmt sind, um Aussagen aufzunehmen. Aber ich sehe sie nicht wirklich. Ich weiß, dass ich Finn suchen oder Luz anrufen oder mir ein Taxi besorgen sollte, aber ich kann nur dasitzen und vor mich hin starren und an den Tag denken, an dem James seine Eltern beerdigt hat.
    James erschien mir am Tag der Beerdigung wie eine Marmorstatue. Zwölf Jahre alt, in einem neuen schwarzen Anzug und Schuhen, die zu groß waren, mit einem Gesicht wie aus weißem, hartem Stein. Ich stand hinten in der Kirche, mit meinen Eltern, die mich wie zwei große, schwarze Säulen, so stark wie die Mauern unseres Hauses, flankierten. Ich versuchte, einen Blick auf James zu erhaschen, der ganz vorn in der ersten Kirchenbank saß, neben sich Nate.
    Er war stumm und rührte sich nicht, und ich wartete darauf, dass er zu weinen begann. Ich hätte geweint.
    Meine Eltern sagten, ich solle ihm etwas Zeit geben und ihn erst mal in Ruhe lassen, aber sobald wir zum Leichenschmaus im Haus der Shaws angekommen waren, lief ich davon und ließ sie mit ihren Krabbenkanapees am Buffet stehen. Ich schlängelte mich auf Hüfthöhe durch die Menge wie ein kleiner Fisch durch einen Schwarm, ständig nach James’ dunklem Kopf und bleichem Gesicht Ausschau haltend. Ich drehte zwei Runden durchs Erdgeschoss, aber er war nirgends. Nate – er arbeitete damals für Richter MacMillan und hatte eine eigene Wohnung in Capitol Hill, kam aber noch immer an den meisten Wochenenden nach Hause – schüttelte Hände und nahm Beileidsbekundungen entgegen. Als er mich sah, wies er mit dem Kopf Richtung Treppe und machte eine Geste, als würde er ein Buch öffnen.
    Oben in der Bibliothek fand ich James’ Sakko über die Rückenlehne des Sofas geworfen und seine glänzenden Lederschuhe in eine Ecke gekickt, doch sonst kein Zeichen von James. Ich rief seinen Namen, aber ich erhielt nur Schweigen zur Antwort. Ich ging weiter in den Raum hinein und fand ihn schließlich zusammengekauert in einem Ohrensessel, der von der Tür abgewandt stand. Er hatte sich so klein gemacht, dass er unsichtbar war, bis man nah

Weitere Kostenlose Bücher